Rechter Schulterschluss

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/311896.rechter-schulterschluss.html

In Frankfurt am Main versuchen CDU und Jutta Ditfurth gemeinsam, eine Konferenz über 50 Jahre Besatzung Palästinas zu verhindern

Von Hans Christoph Stoodt

Am 9. und 10. Juni findet im Ökohaus Frankfurt am Main eine Konferenz des Deutschen Koordinationskreises Palästina Israel (KoPI) statt. Sie wird sich unter Beteiligung namhafter Wissenschaftler und Politiker mit dem Thema »50 Jahre israelische Besatzung« auseinandersetzen und Wege zu deren Beendigung und einem gerechten Frieden diskutieren. Dabei sind der israelische Historiker Moshe Zuckermann, Georges Rashmawi von der Palästinensischen Gemeinde Deutschland, die Psychoanalytikerin Iris Hefets, Vorsitzende des Vereins »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden«, der Historiker Ilan Pappé, der Völkerrechtler Norman Paech, der Soziologe Jamal Juma‘a, Sprecher der Kampagne »Stop the Wall« aus Ramallah, sowie die ehemalige palästinensische Ministerin Madschida Al-Masri.

Stimmungsmache
Bereits im März hatte es um diese Veranstaltung Wirbel in der Mainmetropole gegeben (siehe jW vom 30. März). CDU-Bürgermeister Uwe Becker stellte die Konferenz ohne Umschweife auf eine Stufe mit dem Antisemitismus der historischen Nazifaschisten. Der Vermieter des Ökohauses, das einst aus Mitteln des 1985 aufgelösten Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) erbaut wurde, erklärte nun plötzlich, »Faschisten und Islamisten« erhielten bei ihm keine Räumlichkeiten. Jutta Ditfurth, zentrale Aktivistin der Partei Ökolinx, stellte sich demonstrativ auf die Seite der CDU, unter anderem mit der Begründung, die weltweite Aktion »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS), für die einzelne Referenten werben, sei »antisemitisch« und wolle »Israel vernichten«. BDS wird im Programm der Veranstaltung nicht erwähnt, dennoch werden die Konferenz und ihr Ziel umstandslos zu einer Art antisemitischen Hetzveranstaltung umgedeutet. Matthias Jochheim, Frankfurter Arzt und KoPI-Mitstreiter, hat das in verschiedenen Interviews in den vergangenen Wochen ruhig und eindeutig zurückgewiesen – alles vergeblich.

Es half auch nichts, dass ein Frankfurter Amtsgericht die Kündigung des Veranstaltungsraums im Ökohaus für rechtswidrig erklärte. Auf diesem Wege scheint die Konferenz nicht zu stoppen zu sein, deshalb wechselten Ditfurth und Becker sowie einige andere, die sich ihnen angeschlossen haben, darunter der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Die Grünen) und Sacha Stawski von der Lobbyorganisation »Honestly Concerned«, die Konfliktebene. Zeitgleich mit der Eröffnung der Konferenz und an ihrem Ort soll eine Protestveranstaltung stattfinden. Zwar sei es deren Sache nicht, die Tagung zu verhindern, behauptete Stawski im Mai in der Frankfurter Neuen Presse. Aber man fragt sich: Warum eigentlich nicht? Erklärt er doch im selben Interview zu BDS: »Diese Aktionen haben einen ganz widerlichen Nachgeschmack. Sie erinnern an die ›Kauft-nicht-bei-Juden‹-Propaganda der Nationalsozialisten«.

In ähnlicher Weise versucht ein »antideutscher« Lokaljournalist der Frankfurter Rundschau, Hanning Voigts, Stimmung gegen die Konferenz zu machen. Er wird am morgigen 7. Juni Moderator einer Podiumsdiskussion Gleichgesinnter in der traditionsreichen Bildungsstätte »Anne Frank« sein. Dort sollen Jutta Ditfurth, der Direktor der Bildungsstätte Meron Mendel sowie Pröpstin Gabriele Scherle von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau über die Veranstaltung vor deren Stattfinden diskutieren: »Die Diskussion zur BDS-Bewegung und die sogenannte ›Israelkonferenz‹ in Frankfurt/Main«.

Faschismus verharmlost
Dieser Vorgang ist weder in Frankfurt noch in der Bundesrepublik einmalig. Immer wieder, zuletzt in der Evangelischen Akademie Tutzing, werden zionismuskritische Diskussionen erst angekündigt und dann auf Grund von Druck der gesellschaftlichen Rechten und/oder israelischer Stellen abgesagt oder müssen die Veranstaltung verlegen wie jüngst in Berlin (siehe jW vom 31. Mai). Kritik am Zionismus oder auch das Eintreten für die gewaltfreie und zivilgesellschaftliche Kampfform des ökonomischen Boykotts gegen die andauernde und völkerrechtswidrige Besatzung Palästinas, gegen die massive Unterdrückung demokratischer Grundrechte und -freiheiten dort, wird routinemäßig auf eine Stufe mit den Untaten von Goebbels, Himmler und Heydrich gestellt. Das ist nicht nur eine üble Verharmlosung des nazifaschistischen Holocaust – und damit in der Tat selbst objektiv antisemitisch –, es ist auch eine bezeichnende politische Parteinahme jener Seite, die selbst Diskussionen vermeidet. Auf deren Position stellt sich neben CDU, Beck und Stawski nun zum wiederholten Mal Jutta Ditfurth.

Sie alle stützen so eine seit mindestens 1947/48 andauernde, von der zionistischen Ideologie bestimmte Politik der »Entarabisierung« Palästinas. Pappé hat in seinem Buch »Die ethnische Säuberung Palästinas« (2008) anhand historischer Dokumente, aus freigegebenen militärischen und geheimdienstlichen Quellen von Hagana, Palmach, Irgun und Etzel (den zionistischen Milizen, aus denen die spätere israelische Armee entstand), gezeigt, wie sehr Begriff und Sache der »Entarabisierung« seit den 1920er Jahren Ziel aller zionistischen Pläne war. Sie führten schließlich zur »Nakba«, der Vertreibung von etwa 780.000 Palästinenserinnen und Palästinensern, etwa 50 Prozent der seinerzeitigen palästinensischen Bevölkerung. Die Besetzung der Westbank im Junikrieg von 1967 setzte diese Politik in der Form einer zwischenstaatlichen Auseinandersetzung fort. Die Mittel, mit denen die zionistische Bewegung 1947/48 vorging, würden, so die These von Pappé, nach den Erfahrungen des Jugoslawien-Kriegs der 1990er Jahre zu Recht als eine Form »ethnischer Säuberung« eingestuft und wären daher nach dem Völkerstrafrecht zu bewerten. Die Gegner der KoPI-Konferenz sind offenkundig zu einer Verteidigung dieses Vorgehens ohne Diskussion bereit.

Besonders alarmiert sie vermutlich der Vergleich der Lage in Israel mit der in Südafrika unter der Apartheid. Dabei werden die engen historischen Beziehungen des ANC und der PLO »übersehen«. Gleiches gilt für die Aussagen einer Persönlichkeit wie des Friedensnobelpreisträgers und früheren Erzbischofs von Kapstadt Desmond Tutu über die Ähnlichkeit von Südafrika zu Zeiten des Apartheidregimes und Israel heute. Die internationale BDS-Kampagne reagiert genau darauf. Sie als »antisemitisch« zu dämonisieren bedeutet im Grunde, die Apartheid nachträglich zu rechtfertigen.

Gegenwind
Die Frage, zu welchen gesellschaftlichen Konsequenzen die anhaltende Politik der ethnischen Säuberung und Besatzung in Palästina und in Israel führt, und vor allem, wie sie überwunden werden können, soll Gegenstand der KoPI-Konferenz sein. Zu ihr reist unter anderem jW-Autor Moshe Zuckermann aus seinem Geburtsort Tel Aviv in seine zweite Heimatstadt Frankfurt, wohin er 1960 als Kind kam, an. Schon im Vorfeld rief er CDU-Bürgermeister Becker wegen dessen Antisemitismusvorwürfen an die Adresse der Tagung zur Ordnung: »Ich weiß nicht, was die Familie von Uwe Becker im Krieg gemacht hat, hingegen weiß ich sehr wohl, was meine Familie im Krieg erlitten hat. Ich meine, Uwe Becker sollte sich sehr vorsehen, ehe er sich anmaßt, mir oder irgendeinem anderen Juden suggerieren zu wollen, Antisemit zu sein bzw. sich mit Antisemiten verbandelt zu haben.«

Auch Jutta Ditfurth spürt derzeit Gegenwind. Die linke katalanische Partei Candidatura d’Unitat Popular (CUP) schloss sie nach vorheriger Einladung jüngst von der Mitwirkung an einer internationalen Konferenz aus, die am 20. Mai in Barcelona stattfand – wegen ihrer Haltung zu BDS.In Frankfurt bereiten sich derzeit linke Kräfte darauf vor, den geplanten Ablauf der Konferenz absichern zu helfen. »Der Polizei können wir diese Aufgabe eher nicht überlassen«, erklärte der Sprecher von »Free Palestine Frankfurt«, Bibou Tiger. Die Gruppe ruft gemeinsam mit dem »Arbeitskreis 8. Mai« zur Verteidigung der KoPI-Konferenz auf und hat sich deshalb an alle internationalistischen und antiimperialistischen Gruppen der Region gewandt. »Wir wollen in dieser Frage mal einen Punkt setzen«, erklärte eine Sprecherin dieser Gruppe. »Es reicht jetzt mit der Verhinderung von zionismuskritischen Veranstaltungen in der BRD!«