Quelle: http://www.jungewelt.de/2015/12-30/060.php
Antifaschisten in der Ukraine kämpfen für den Wiederaufbau einer schlagkräftigen internationalen kommunistischen Bewegung
Von Susann Witt-Stahl
Stille Nacht im Frontabschnitt der Kommunistischen Freiwilligeneinheit der Brigade Prisrak, Dobrowoltscheskij Kommunistitscheskij Otrjad (DKO). Abgesehen von vereinzeltem Mörserfeuer: Weihnachten schwiegen die Waffen in dem kleinen Ort Donezkij in der »Volksrepublik Lugansk«, der rund 40 Kilometer vom Prisrak-Stützpunkt in Altschewsk entfernt liegt. Ist ein dauerhafter Waffenstillstand im Donbass greifbar, und schreitet der mit Minsk II vereinbarte Abzug von Geschützen mit einem Kaliber von mehr als 100 Millimetern voran? »Leider nein«, erklärt Alexej Markow, politischer Kommandeur der DKO. »Von der ukrainischen Seite gab es in letzter Zeit fast täglich Beschuss. Sie versteckt ihre schwere Artillerie nicht einmal mehr.«
Besonders zermürbend sei der Mangel an dem existenziell Notwendigsten: »Kiew will die Bevölkerung mit Wasserentzug in die Knie zwingen. Es ist wie im Mittelalter«, meint ein DKO-Aktivist mit dem Kampfnamen »Nemo«, der auch Koordinator von InterUnit ist, einer vor kurzem von rund 15 internationalen Antifaschisten in der Brigade Prisrak gegründeten Organisation. Viele Menschen würden derzeit die Region verlassen. In den Wintermonaten ist der Alltag ohne fließendes Wasser kaum zu ertragen.
Für die Kommunisten und andere Linke, die wie Nemo aus Italien oder aus Spanien, Finnland, Südamerika, Israel und den USA gekommen sind, ist der Vormarsch der Faschisten in der Ukraine und der Rechtsruck vor allem im Osten Europas Argument genug, um weiter auszuharren. Was etwa in Ungarn und Polen geschieht, »ist sehr gefährlich«, findet Nemo. Aber er wolle nicht nur die »Nazimarionetten« des US- und NATO-Imperialismus bekämpfen. »Wir sind nicht gekommen, um zu zerstören – wir wollen etwas Neues schaffen«: »Noworossija« als Antithese zur Restauration der Oligarchie in der Region und als Agenda einer neuen sozialistischen Gesellschaft, die an die Errungenschaften der Sowjetunion anknüpfen, aber deren Fehler nicht wiederholen soll. »Wenn uns das in der Ukraine gelingt, wo die schlimmste faschistische Aggression in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg stattfindet, dann ist es überall möglich.«
Dringliche Aufgabe sei zunächst, die Bevölkerung im Donbass vor »Kiews Nazibataillonen« zu schützen und die humanitäre Situation zu verbessern, sagt ein Freiwilliger aus Madrid. Edy Ongaro, Kampfname »Bozambo«, aus der italienischen Provinz Venedig wünscht sich, dass Antifaschisten wieder beherzigen, was sein Großvater, der in das KZ Buchenwald verschleppt worden war, ihn gelehrt habe. »Weiche niemals zurück!« zitiert Bozambo ihn und appelliert an alle Internationalisten: »Wenn ihr nur irgendwie könnt – kommt hierher.«
Aber DKO ist nicht nur eine kämpfende Infanterie-Einheit und InterUnit eine Gruppe von Antifakombattanten – sie verstehen sich vor allem als politische Strukturen. InterUnit hat eigene Politkommissare, die gleiche Rechte und Pflichten wie alle anderen Kämpfer haben, aber auch für alle Ränge strategische Entscheidungen treffen, die Einsätze der Einheit beaufsichtigen und befugt sind, Korrekturen anzuordnen, wie aus ihrem Grundsatzpapier zu erfahren ist. Auch wenn es innerhalb InterUnit keine Hierarchien gibt und die Mitglieder den Kommandeuren ihrer Kampfverbände unterstellt sind: »Den Kommissaren werden weitreichende Kompetenzen eingeräumt, weil auch in einer militärischen Einheit das Primat der Politik gelten soll.« InterUnit unterhält eine eigene Abteilung für Logistik in Altschewsk und hat politische Unterstützergruppen in Spanien und Italien, die inspiriert von der »Antifaschistischen Karawane« der Ska-Punk-Band Banda Bassotti und dem Internationalen Solidaritätsforum in Lugansk entstanden sind.
Das historische Vorbild der Initiatoren von InterUnit sind die Interbrigaden des Spanischen Bürgerkrieges. »Vor 80 Jahren hatten die antifaschistischen Kämpfer die Komintern im Rücken, heute ist die kommunistische Bewegung weltweit zersplittert und in Teilen sogar zerstört«, lässt Nemo keinen Zweifel aufkommen, dass er und seine Genossen den fundamentalen Unterschied zwischen den Bedingungen heute und damals realisieren. Aber sich keinen Illusionen hinzugeben, bedeutet für sie nicht Resignation, keine Revolution ohne Vision: »Wir müssen das Haus für eine kommunistische Internationale wieder aufbauen − Stein auf Stein.«