Quelle: http://www.melodieundrhythmus.com/mr-3-2017/lobby-fuer-den-imperialismus/
Die Zeitschrift des Informationszentrums Dritte Welt (IZ3W) stand einst für radikale Kritik der »Entwicklung der Unterentwicklung«. Heute rangiert sie zwischen postmodernem Linksliberalismus und Neokonservatismus
Christin Bernhold
In ihrer März/April-Ausgabe präsentierte die Zeitschrift iz3w eine eigenwillige Position aus dem Lager des African National Congress (ANC): »Israel schützt sowohl Freiheit als auch Diversität«, ist dort von dem ANC-Mitglied und Mitbegründer der Initiative Africans for Peace Nkululeko Nkosi zu lesen. Mit dieser Kunde war der Mittzwanziger 2016 von einer Delegationsreise zurückgekehrt, die das proisraelische South Africa-Israel Forum organisiert und gesponsert hatte. Israel habe weder vor, die Palästinenser auf unbestimmte Zeit zu regieren, noch, »bestimmte Gruppen voneinander zu isolieren«, rekapituliert Nkosi das, was ihm vor Ort vermittelt wurde – und unterstreicht damit sein Anliegen gegenüber den Kritikern der Besatzungspolitik im Westjordanland: »Wir fordern das Wort ›Apartheid‹ zurück!« Wer es in diesem Zusammenhang verwende, befördere die Entwürdigung schwarzer Südafrikaner.
Nkosi plädiert in seinem Beitrag nicht nur dafür, eine neue Bezeichnung für das Okkupationsregime israelischer Regierungen zu finden. Er bagatellisiert vielmehr die Unterdrückung der Palästinenser und verzerrt den »Israel-Palästina-Konflikt« zur »Patt-Situation« – als würde es einen souveränen Staat Palästina geben. In der iz3w-Redaktion stößt Nkosi damit auf Zustimmung: Es sei bemerkenswert, wie die Africans for Peace ihre »bisherigen Ansichten zu Israel« selbstkritisch reflektiert hätten. Das Lob kommt von Kennern, denn von Selbstläuterung versteht das iz3w etwas: Gemeinsam mit anderen Ex-Linken hat es in den vergangenen 20 Jahren nicht nur der Palästina-Solidarität, sondern auch der radikalen Kritik internationaler Herrschafts- und Ausbeutungsbeziehungen weitgehend abgeschworen.
Das iz3w existiert seit 1970. Es wurde von der Freiburger Aktion Dritte Welt (ADW) gegründet, die 1968 angetreten war, als »Lobby für die Dritte Welt« auf die Entwicklungspolitik der damaligen Bundesregierung einzuwirken. Die »Illusionen bezüglich der SPD« hatte sie jedoch bald zugunsten einer von lateinamerikanischen Dependenztheorien beeinflussten antikapitalistischen Kritik staatlicher Entwicklungshilfe als Kolonialismus mit anderen Mitteln aufgegeben. In den damals so genannten »Blättern« des iz3w war es üblich, Ross und Reiter imperialistischer Politik zu benennen: Autoren demaskierten etwa Entwicklungspolitik als Sekundantin für Unternehmen und deren Kapitalinteressen in der »Dritten Welt«. Sie stellten die Machenschaften von Geheimdiensten, IWF und Weltbank bloß oder zeigten, wie sich in Lateinamerika mithilfe der USA Militärs an die Macht putschten und den Klassenkampf von oben brutal verschärften. Die internationale Solidarität galt Befreiungsbewegungen auch dann, wenn sie der deutschen Staatsräson entgegenstand.
In den 1990er-Jahren avancierte die Zeitschrift zunehmend zur Plattform für »antideutsche Sichtweisen« (Editorial 251/2001). Statt Lobbyarbeit für die »Dritte Welt« leistete man fortan, so das Selbstbild, »Grundsatzkritik« – nicht nur an nationalistischen »Denkkategorien«, wie es Redakteur Christian Stock formuliert, sondern auch an der Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen. Bei manchen iz3w-Mitarbeitern schlug die Auseinandersetzung mit der projektiv-romantisierenden Sicht einiger Linker auf Kämpfe in der »Dritten Welt« bald in ein Bekenntnis zu den Machtansprüchen des Westens um: Durch eine ideologische Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs wurde in der iz3w die Bekämpfung des revolutionären Antikapitalismus hoffähig gemacht.
Wie das funktioniert, machte im Jahr 2000 der Journalist Udo Wolter vor: Wer an eine herrschende Klasse glaube, die den Kapitalismus aufrechterhalten wolle und »im Interesse der privaten Aneignung des als Mehrwert produzierten Reichtums die Interessen der Ausgebeuteten missachtet«, der personalisiere nicht bloß unzulässig den »abstrakten kapitalistischen Gesellschaftszusammenhang«, sondern habe auch eine strukturelle Affinität zum Antisemitismus. Antiimperialismus hält Wolter – der 2005 in der Wochenzeitung Jungle World eine »islamistische Internationale« mit Hauptsitz in »Londonistan« aufspürte – nicht nur für verschwörungstheoretisch, sondern auch für das höchste Stadium des falschen Antikapitalismus. »Das antiimperialistische Weltbild macht keine Fehler, es ist der Fehler«, zitiert er den Soziologen Thomas Haury. Mit dem Schwerpunktheft »Der Imperialismus tritt zurück« erhob die iz3w-Redaktion 2001 den Bruch mit der »dichotomen antiimperialistischen Weltanschauung« des »Traditionsmarxismus« zur Blattlinie. Redakteur Jörg Später hatte sich in der Jungle World aber schon 1998 darüber gefreut, dass »die antiimperialistische Linke Geschichte« sei.
Ähnlich sehe es mit dem Klassenkampf aus. Die »Verlierer der gegenwärtigen Entwicklung« ließen sich kaum zu einer Klasse homogenisieren, hieß es 2005 aus der Redaktion. Es solle zwar Kämpfe geben, gegen Rassismus, Sexismus und die soziale Schieflage, aber nicht gegen »die da oben«. Wohin Klassenkampf führe, wusste 2007 der »antideutsche« [a:ka] Göttingen von den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm zu berichten. Die globalisierungskritische Ideologie sei dort in Wahn umgeschlagen, weil man eines nicht begriffen habe: »Tatsächlich ist die sogenannte Globalisierung keine Erfindung des Westens zur Unterdrückung des Trikonts, sondern ein notwendiger Teil des Kapitalprozesses.«
Während die iz3w Antiimperialisten ein geschlossenes Weltbild attestierte, öffnete sie sich für Befürworter imperialistischer Angriffskriege. Nachdem sie Bellizisten wie Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken 2002 schreiben ließ, man trage »ungewollt zum Machterhalt des mörderischen Regimes von Saddam Hussein« bei, wenn man sich gegen den bevorstehenden Irakkrieg stelle, war sich 2003 auch die Redaktion nicht mehr einig, ob man nicht auch mal Krieg befürworten müsse. Und wer die Kriegslügen aufdecken wolle, so die Redaktion später im Jahr, fröne dem Elend des Positivismus und falle hinter die Erkenntnis der Kritischen Theorie zurück, das Ganze sei das Unwahre.
Ein Ausrutscher war das nicht. 2008 vertrat in der iz3w etwa Jonathan Weckerle, Mitinitiator der Neocon-Kampagne Stop the Bomb, man könne nur »den Iran bombardieren oder mit der iranischen Bombe leben«. Pazifismus, der eine Eskalationspolitik gegen den Iran ablehne, sei »nicht nur hilflos, sondern gefährlich«. 2012 bot iz3w den Geografen Jacqueline Passon und Klaus Braun, Leiter des deutsch-libyschen Forschungsprojekts des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, die Gelegenheit, den NATO-Krieg gegen Libyen als »Revolution« zu verherrlichen. Und zur Ukraine-Krise war 2014 in der iz3w ein Kleinod zu finden, das bestens zur deutschen Staatsräson passt: Der Euromaidan sei vom »selbstbestimmten Handeln verschiedener Gesellschaftsgruppen« geprägt gewesen, wurde der von neoliberalen Faschisten unterstützte Vorstoß der NATO nach Osten weißgewaschen. In der Ostukraine hingegen habe, so die Zeitschrift, eine »russische Konterrevolution« stattgefunden.
Das Thema Islamismus ist für die iz3w in den letzten 20 Jahren ebenfalls zum Dauerbrenner geworden. Während dabei auch anti rassistische Kritiker wie Margarete Jäger zu Wort kamen, vertrat der Politikwissenschaftler Stephan Grigat 2013 in der von der Amadeu Antonio Stiftung geförderten Ausgabe mit dem Schwerpunkt »Inter-Nationalismus – Faschismus hat viele Gesichter« die These, die Bezeichnung »Islamfaschismus« tendiere angesichts der »zentralen Rolle, die der Antisemitismus in allen Strömungen des Islamismus spielt«, und ihrer »Verwandtschaft mit der Nazi-Ideologie« bereits zur Verharmlosung. Da man nicht von »islamistischem Nazismus« reden wolle, sei der Begriff »Ummasozialismus« geeigneter. 2005 hatte das Middle East Media Research Institute (MEMRI) in der iz3w arabische Intellektuelle gelobt, die offen aussprechen, »dass es wohl kaum Zufall sein kann, wenn die meisten gegenwärtig in der Welt operierenden Terroristen arabisch-islamischen Gesellschaften entstammen«. Willkommen am Stammtisch.
Der Berliner Büroleiter des MEMRI war seinerzeit der ehemalige iz3w-Redakteur Jochen Müller, der heute vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Experte für Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus geführt wird. Auch das iz3w beschäftigt sich staatstragend mit dem Thema: In Freiburg bildet es die Koordinationsstelle für das Programm der Bundesregierung »Demokratie leben!« und leistet laut Tätigkeitsbericht 2015 Präventionsarbeit gegen Islamfeindlichkeit und islamistische Radikalisierung. Militante Islamisten seien nicht nur dafür mitverantwortlich, dass die Welt für Millionen Menschen unerträglich geworden sei, »sondern auch dafür, dass Europa unsicherer geworden ist für Menschen, die Wert auf ihre Freiheit legen«. Kampf der Kulturen statt Kampf gegen den Imperialismus?
Das Bild, das die iz3w bietet, ist kein Einheitliches. Neben dem Who’s who ex-linker Neocons schreiben in ihr auch viele Autoren, die Kritik etwa an der Diffamierung von Armen, an Grenzregimen und Migrationspolitik, an Rechtspopulismus oder am Trugbild des »fairen Handels« üben. Solange das Projekt aber die Devise ausgibt, dass am Stuhl der Profiteure globaler Herrschafts- und Ausbeutungsbeziehungen nicht gesägt werden darf, bleibt die iz3w eine Art Jungle World mit »Dritte Welt«-Bezug, die dort Emanzipation, Demokratie und Menschenrechte einfordert und zugleich den Weg zu deren Erlangung blockiert. Wie praktisch, wenn man sich dabei noch auf Akteure aus dem globalen Süden – wie Nkululeko Nkosi – beziehen kann.