Quelle: https://www.jungewelt.de/2015/08-14/023.php
Der »Neue Mittlere Osten«, wie die USA sich ihn vorstellen, ist ein Schlachtfeld. Zustände, wie sie die Welt seit 1945 nicht gesehen hat.
Im Mittleren Osten findet 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein neues Massenmorden statt. Während eine internationale Koalition unter Führung der USA Tausende Luftangriffe auf den Irak und Syrien fliegt, schickt Saudi-Arabien, nach Ansicht der Bundesregierung ein »Stabilitätsanker« in der Region (Thomas de Maizière), nach Kampfjets nun auch Panzer und Bodentruppen in das »Armenhaus der arabischen Welt«, den Jemen. Westliche Länder bezahlen staatliche und private Militärberater, um arabische Männer für den Krieg im Irak, in Syrien und Jemen auszubilden und zu bewaffnen. Getreue Verbündete wie Jordanien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate stellen Militärbasen zur Verfügung. Internationale Rüstungskonzerne verkaufen in den Golfstaaten so gut wie alles, was in ihren Katalogen steht, und verzeichnen die größten Gewinne seit Jahren.
Die USA wollen den Mittleren Osten »ordnen«, bevor sie ihr Beutezug weiter gen Osten Richtung China führt. Ihre Hinterlassenschaft heißt Krieg, Zerstörung, Vertreibung und latente Krisen. Fortwährender Krieg bedeutet fortwährenden Profit für die Geschäfts- und Regierungsinteressen der USA und ihrer Verbündeten. So zynisch es klingt, der Krieg in der Levante ist ein lohnendes Geschäft für Rüstungskonzerne, Schmuggler, Hilfsorganisationen und für Unternehmen, die später das Land wiederaufbauen.
Politische Lösungen kommen in dem US-Konzept nicht vor, weil sie die Staaten der Region stabilisieren und damit politisch stärken würden. Statt dessen werden Bündnispartner wie die EU, die Türkei, Saudi-Arabien und Israel bedient, indem Washington sie eigene »Feldzüge« organisieren lässt. Syrien und Irak sollen als Staaten zerschlagen werden. Libanon wird genau wie Jordanien als Auffangbecken für Flüchtlinge gebraucht, Jordanien zudem als Militärstützpunkt. Im Rahmen dieses Szenarios schieben die USA immer wieder aufs neue internationale und regionale Partner und Kampfgruppen unterschiedlicher Couleur auf dem Spielfeld herum. Konkurrenzen zwischen den Partnern fachen das Feuer an.
In Syrien ist der offizielle Gegner der USA und ihrer Verbündeten inzwischen der selbsternannte »Islamische Staat« (IS). Ein Gegner, den die USA – wie der frühere US-Militärgeheimdienstchef Michael Flynn kürzlich gegenüber dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira bekannte – bewusst aufgebaut hatten. Spätestens seit 2012 hätten die US-Politiker gewusst, dass die Hauptkräfte hinter dem Aufstand in Syrien Extremisten waren, dennoch hätten sie diese unterstützt, wiederholte Flynn, was in einem kürzlich bekannt gewordenen Papier der US-Geheimdienstbehörde DIA vom August 2012 nachzulesen ist. Gegen diesen »Feind« IS werden nun eigens ausgebildete Kampfgruppen unter dem Namen »Neue Syrische Armee« in den Norden Syriens geschleust, in dem für sie völkerrechtswidrig eine »Schutzzone« als Aufmarschbasis eingerichtet wird. Fast gebetsmühlenartig wiederholen US-Offizielle derweil, dass der Hauptschuldige an der Lage in Syrien der syrische Präsident Baschar Al-Assad selber sei. Mark Toner, Sprecher des US-Außenministeriums, bekräftigte erst vor wenigen Tagen: »Das Assad-Regime ist die Wurzel von allem Bösen« in Syrien. Offizielle US-Militärhilfe für »moderate Rebellen« bisher: 500 Millionen US-Dollar.
Im Irak werden die Armee und Einheiten der kurdischen Peschmerga ausgebildet und ausgerüstet. Eine internationale Allianz von mehr als 60 Staaten ist in den von den USA angeführten Krieg gegen den IS involviert. Die US-Armee ist mit über 1.000 staatlichen und privaten »Militärberatern« im Irak stationiert. US-Militärhilfe für Ausbildung: mindestens 25 Milliarden US-Dollar. US-Militäraufwand für Luftangriffe seit 8. August 2014: 3,5 Milliarden US-Dollar (9,8 Millionen am Tag). Diese Zahlen geben den Stand vom 31. Juli 2015 wieder.
Die Türkei wird von Washington an einer langen Leine geführt. Weil man in Ankara den Kampf gegen den IS nicht aufnehmen wollte, schickte Washington Kampfjets zur Unterstützung der syrischen Kurden, die erfolgreich ihr weitgehend autonomes Gebiet »Rojava« gegen den IS verteidigten und ausweiteten. Der Regierung Erdogan missfiel das, sie forderte die USA auf, »moderate syrische Rebellen« auszubilden, die nach Syrien in den Kampf geschickt werden sollten. Washington war nicht überzeugt, und weil die Verhandlungen nicht zur Zufriedenheit Ankaras verliefen, holte die Türkei Katar und – trotz ideologischer Differenzen – Saudi-Arabien ins Boot, um eine eigene Truppe aufzustellen. Die »Armee der Eroberung« überfiel die nordsyrische Provinz Idlib im März 2015, wo sie bis heute aktiv ist. Seit die Türkei ihren Luftwaffenstützpunkt Incirlik für US-Kampfjets öffnete, darf die türkische Armee – trotz angeblicher Vorbehalte Washingtons – wieder die kurdische Arbeiterpartei PKK im Nordirak angreifen und den Dialog mit den Kurden in Schutt und Asche bomben.
Die Golfstaaten werden seit Jahren aufgerüstet und erhalten Waffensysteme im Wert von Milliarden geliefert, Ausbilder ebenfalls. Im Rahmen bilateraler Abkommen wird in den Emiraten eine boomende Rüstungsindustrie etabliert. Die einzige Monarchie der arabischen Halbinsel, die sich dem Wettrüsten entzieht, ist Oman, das sowohl dem Westen als auch der arabischen und persischen Welt als vertrauenswürdiger Mittler gilt.
Um sich von Israels Regierung die Zustimmung zu dem Abkommen mit dem Iran zu erkaufen, liefern die USA nicht nur Waffen, Washington schaut selbst weg, wenn es um israelische Unterstützung für Al-Qaida-Kampfgruppen auf dem syrischen Golan geht. Auch wenn die israelische Luftwaffe syrische Stellungen angreift oder Kampfjets abschießt, wird geschwiegen. Die Obama-Administration rührt es auch nicht, wenn die Besatzungsmacht Israel permanent die Palästinenser drangsaliert.
Der »Neue Mittlere Osten«, wie Washington sich ihn sich vorstellt, ist ein Schlachtfeld. Die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR stellte dazu Mitte Juni fest: Allein »das massive Leid des Kriegs in Syrien mit 7,6 Millionen Binnenvertriebenen und 3,88 Millionen Flüchtlingen in der benachbarten Region« mache den Nahen Osten »zur größten Herkunftsregion« von Menschen auf der Flucht. Zustände, wie sie die Welt seit 1945 nicht gesehen hat.