Die Tierrechtsgruppe Zürich ruft dazu auf, am 1. Juli 2017 in Bern auf die Strasse zu gehen und die Demo „Speziesismus beenden!“ zu unterstützen. Wir teilen dieses Forderung der Organisatoren, wollen der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung aber auch aufzeigen, welche Entwicklungen hinter dieser Demo stecken und welche theoretischen Überlegungen diesem Anliegen zugrunde liegen. Mit dem von uns verfassten Flugblatt wollen wir die Protestaktion daher nicht nur solidarisch und kämpferisch, sondern auch kritisch begleiten.
In den letzten drei Jahren rief die Tierrechtsorganisation Tier im Fokus (tif) im Sommer jeweils dazu auf, in Bern „für die Schliessung aller Schlachthäuser“ auf die Strasse zu gehen. Mit dieser Parole wurde eine unmissverständlich konkrete Forderung formuliert. Anstatt aber Kontinuität und politische Beharrlichkeit zu zeigen, schlägt tif dieses Jahr bedauerlicherweise einen anderen Weg ein.
Für den 1. Juli 2017 ruft tif nun „zu einem grossen, lauten und bunten Strassenprotest für das Ende des Speziesismus“ auf. Es geht tif nicht mehr in erster Linie darum, die Schlachthäuser zu schliessen und der Fleischindustrie das Handwerk zu legen, sondern tif will nun jeden einzelnen davon überzeugen, das speziesistische Denken abzulegen: „Wer den Speziesismus ablehnt, lebt vegan“, so das zentrale Anliegen im Aufruf zur diesjährigen Demo.
Die millionenfache Ermordung von Tieren in industriell betriebenen Schlachtfabriken erscheint durch solchen Moralismus nur noch als Ergebnis eines in den Köpfen der Menschen spukenden, falschen Bewusstseins und die auf die Befreiung der Tiere gerichtete politische Praxis wird primär zu einer Frage individueller Akte und Ansichten, die völlig losgelöst vom Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft betrachtet werden.
Herrschaftskritischer Moralismus
Im Vorfeld der Demo kursierte auch ein anderer, von tif unabhängiger, anonymer Aufruf. In diesem wird richtigerweise festgehalten, dass „antispeziesistische Kämpfe nicht isoliert zu betrachten“ sind, sondern dass soziale Kämpfe verbunden werden müssen. Es gelte daher „intersektionale Perspektiven einzubringen“ und „sich gegen jegliche Form von Unterdrückung“ einzusetzen.
Der intersektionalen Theorie folgend bedeutet dies, verschiedene zusammenwirkende Diskriminierungsformen wie Sexismus, Rassismus, Speziesismus, Klassismus etc. zu bekämpfen. Anstatt die kapitalistische Produktions- und Austauschweise als Ausgangspunkt zu erkennen, aufgrund dessen die Arbeiterklasse und die Tiere gemeinsam der herrschenden Klasse antagonistisch gegenüberstehen, wird ihre Lage als Leidende und Erniedrigte im Kapitalismus damit lediglich als moralisches Problem dargestellt. Ausbeutung und Unterdrückung erscheinen bei diesem Ansatz daher ebenfalls nur als Ergebnis eines diskriminierenden falschen Bewusstseins.
Das Problem heisst Kapitalismus
„Die Anschauung, welche unter der Herrschaft des Privateigentums und des Geldes von der Natur gewonnen wird, ist die wirkliche Verachtung, die praktische Herabwürdigung der Natur.“ – Karl Marx |
Der Speziesismus dient den Bossen der Fleischindustrie dazu, ihr mörderisches Geschäft zu rechtfertigen und zu verschleiern. Als Ideologie bringt er bestimmte Interessen der Fleischkapitalisten zum Ausdruck, die jedoch als Interessen der gesamten Gesellschaft erscheinen. Es ist daher richtig, speziesistische Denkformen in Frage zu stellen. Das allein reicht aber nicht, denn die wesentliche Grundlage der Tierausbeutung ist nicht der Speziesismus, sondern die kapitalistische Produktionsweise. Folglich müssen wir auch nicht primär gegen den Speziesismus oder andere Ideologien kämpfen, sondern gegen die sozialökonomischen Verhältnisse, die sie ermöglichen.
Der Weg zu einer befreiten Gesellschaft ohne Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur führt nur über den Klassenkampf. Es geht nicht um ein vages Mitleid, political correctness oder um veganen Lifestyle, womit sicherlich beste Absichten verbunden sind und sich alle irgendwie arrangieren und wohlfühlen können, wobei aber keine handfesten Interessen verletzt werden. Sinn und Zweck kapitalistischer Produktion ist die Maximierung von Profit für die Wirtschaftsbosse. Die dafür notwendige Ausbeutung der Lohnarbeiter, der Tiere und der Natur geschieht in der kapitalistischen Gesellschaft deshalb in erster Linie im Interesse und unter der Leitung der herrschenden Klasse, welche im Besitz der Produktionsmittel ist.
Für einen Sozialismus ohne Schlachthäuser
Die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung steht somit vor der Aufgabe, die Ausbeutung und die Befreiung der Tiere als Klassenfrage kenntlich zu machen und ihren Kampf im Rahmen einer umfassenden Strategie zur Überwindung des Kapitalismus zu konzipieren. Die Kapitalisten müssen enteignet und die Produktionsmittel vergesellschaftet werden. Das sind die materiellen Voraussetzungen, um dem Schlachten, der Ausbeutung und dem Streben nach Profit ein Ende setzen zu können. Nur wenn die Produktionsmittel in den Händen der Produzenten selbst sind, können wir die Produktion gesellschaftlich planen und den Umbau in eine soziale, ökologisch-nachhaltige, vegane Lebensmittelproduktion vorantreiben.
Kämpfen wir für eine sozialistische Gesellschaft ohne Schlachthäuser!
Tierbefreiung heisst Klassenkampf!
Für die Enteignung der Fleischindustrie!
Tierrechtsgruppe Zürich
Ende Juni 2017