Interview mit einem Tierrechtsaktivisten

http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trin0006.html

Interview mit dem Tierrechtsaktivisten Tobias Kirchhoff am 29. Juni 2013 in Hamburg Neugraben

Um die 350 Aktivistinnen und Aktivisten protestierten am 29. Juni in Hamburg-Neugraben gegen das dort und im nahegelegenen Mienenbüttel ansässige Unternehmen LPT (Laboratory of Pharmacology and Toxicology). „Ein Tierversuchslabor ist ein eindeutiger Ort, ein Ort, an dem es keine offenen Fragen gibt, ein Ort, den man nur bejahen oder verneinen kann, da ein Tier nur ermordet oder am Leben bleiben kann.“ Mit Aussagen wie dieser aus einer Rede beim mehrstündigen Protest vor dem Hauptsitz des Unternehmens ließen die Tierversuchsgegnerinnen und -gegner keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit, die damit gestartete Kampagne „LPT schliessen!“ zum erklärten Ziel zu führen. Darüber hinaus bezogen einige Aktivistinnen und Aktivisten gesellschaftskritische Positionen, in denen der fundamentale, letztlich alle Lebewesen betreffende Charakter ihres Kampfes um Befreiung anklang. Am Rande der Demonstration beantwortete der an der Kampagne beteiligte Aktivist Tobias Kirchhoff dem Schattenblick einige weiterführende Fragen zum Anliegen der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung sowie ihrer Verortung in sozialen und linken Bewegungen.

Auszüge aus dem Interview:

„Unser Gegenüber, das wir kritisieren, ist ein ökonomischer Betrieb, der natürlich nicht auf Grundlage irgendwelcher Moralfragen operiert. Das Handlungsmuster des Laboratoriums wird von Profitinteressen gerahmt. Ein Unternehmen wie LPT ist auf Geschäftsbeziehungen mit anderen Unternehmen angewiesen. Hier wird seit einigen Jahren in der Tierrechtsbewegung der sehr wirkungsvolle Ansatz des sogenannten Campaigning verfolgt.
Es geht beispielsweise darum, Proteste auf die Unternehmen, die mit LPT zusammenarbeiten, auszuweiten. Manche Firmen liefern Käfige, andere die Tiere, wieder andere entsorgen die Tierkadaver, waschen die Wäsche der Labormitarbeiter oder liefern das Tierfutter an. Sowohl auf Kunden wie auf Lieferanten läßt sich so ökonomischer Druck ausüben. Man muß sich einfach klarmachen, daß
der ökonomische Druck entscheidend ist.“

„Wir versuchen, uns als Teil der internationalen Linken erkennbar zu machen. Hierbei ist es wichtig, immer wieder kritisch auf die eigene Bewegung sowie auf unser Umfeld zu schauen. Es geht darum, nicht undifferenziert bei allem mitzulaufen, sondern zu schauen, wer eine hieb- und stichfeste kapitalismuskritische Position formuliert, die auch einen Anknüpfungspunkt für die Befreiung der Tiere und die Versöhnung, um mit Adorno zu sprechen, von Mensch und Natur oder Gesetz und Natur bietet. Das ist die Grundlage für Gemeinsamkeiten. Und wenn das der Fall ist, tun wir unser Bestes und wollen natürlich immer Seite an Seite mit Gleichgesinnten kämpfen, und ich denke einmal, daß das häufig der Fall ist.“

„Ungleich größere Probleme allerdings bereitet uns die Industrie, die die Repressionsorgane des Staates hinter sich weiß. International gibt es derzeit diverse Fälle, in denen nicht nur Einzeltaten nach dem Motto „Auf frischer Tat ertappt“ kriminalisiert werden, sondern kollektiv Tatbestände benutzt werden, um Bewegungen zu diskreditieren und kleinzukriegen. Das ist in Österreich, England, Spanien und USA der Fall. Das ist das viel größere Problem, weil sich da gesellschaftliche und ökonomische Interessen gegen uns vereinen. Als Zwangsoptimist kann ich Repression so interpretieren, daß unsere Bewegung irgendwo schon an der richtigen Stelle ansetzt, und zwar am Kapital. Viele unserer Kampagnen richten sich gegen Unternehmen und Konzerne, ob Pelz-, Agrar- und Pharmaindustrie, das sind alles ökonomische Akteure, die auch zurückfeuern. Natürlich ist es schlimm, daß wir uns mit Repression konfrontiert sehen, was wir uns wiederum nicht gefallen lassen wollen. Zumindest wissen wir, daß unser Protest Wirkung zeigt. Das hat jetzt mit LPT weniger zu tun, aber es würde mich nicht wundern, wenn sie sich zur Wehr setzen wollen.“

„In der Agrarindustrie wird sehr deutlich, daß ein Aneignungsprozeß gegenüber der Natur stattfindet. Dort wird alles in Wert gesetzt, was sich irgendwie verwerten läßt. Da sind Tiere schlichtweg Produktionsmittel oder werden zur Ware gemacht. Bei Tierversuchen handelt es sich um eine Art Interims-Situation, weil Tiere zu Meßinstrumenten werden und das Töten der Tiere gar nicht im Mittelpunkt steht. Die Kapitalakkumulation findet nicht über das Töten der Tiere statt wie in der Agrarindustrie, sondern über die Produkte, die danach auf den Markt geworfen werden können und durch diese Tierversuche als sicher gelten. Diese Zertifizierung ist Voraussetzung dafür, bestimmte Produkte auf dem Markt handeln zu können.
Ich glaube, es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß zweierlei Machtstrukturen hinter Tierversuchen stecken. Zum einen nicht nur die Pharmaindustrie, sondern diese unglaubliche Verflechtung mit Sekundär- und Tertiärstrukturen der Industrie. Internationale Konzerne machen ihr Geschäft damit, dieser Tierversuchsindustrie zuzuliefern. Zum zweiten muß man auch sehen, daß neben den materiellen Widersprüchen auch symbolische Konflikte hervortreten. Es ist schon ein Unterschied, ob ich etwas gegen Tierversuche unternehme oder ob ich Verhältnisse zwischen Menschen thematisiere. Wenn ich etwas gegen Tierversuche tue, greife ich das gesamte Mensch-Tier-Verhältnis implizit an, und das betrifft meiner Ansicht nach ganz konkrete gesellschaftliche Machtverhältnisse. Wenn die Tierversuchsindustrie angegriffen wird, fürchten auch andere Bereiche der Wirtschaft um ihre Profite. So attackieren uns unsere Gegner gerne mit dem Argument, daß wir den Menschen die Haustiere wegnehmen wollen. Von den Tierhaltern in den Tiermastanlagen bis zur Pelz- und Lederindustrie wird dann an einem Strang gezogen.“

Das vollständige Interview findet ihr hier.