Gespräch mit der Revolutionären Linken Hamburg

Quelle: http://lowerclassmag.com/2015/11/olympia-waere-eine-niederlage-fuer-die-lohnabhaengige-bevoelkerung/

Über antikapitalistische Politik in Hamburg, das Klassenprojekt Olympia und die Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs. Ein Gespräch mit der Revolutionären Linken Hamburg.

Die „Revolutionäre Linke Hamburg“ ist ein neues Bündnis linker und außerparlamentarischer Gruppen und Einzelpersonen, das sich in der Hansestadt für klassenkämpferische und internationalistische Politik einsetzt. Für kommenden Samstag, den 21. November, ruft es zur Demonstration „Nein zu Olympia! Die Spiele der Reichen verhindern!“ (FB-Link) auf.

Das Bündnis „Revolutionäre Linke Hamburg“ ist aus dem Revolutionären 1. Mai-Bündnis hervorgegangen, das in diesem Jahr die 1. Mai-Demonstration in Hamburg-Altona und das „Klassenfest“-Konzert organisiert hat. Nun habt ihr euch als dauerhaftes Bündnis gegründet. Stellt die Beweggründe dafür doch kurz dar und gebt einen Überblick über eure Arbeit.

Dafür waren mehrere Gründe ausschlaggebend – einige davon beziehen sich auf die Situation in Hamburg, andere betreffen die Situation der bundesdeutschen Linken insgesamt. Es hat sich in den vergangenen Jahren wiederholt gezeigt, dass es in Hamburg zwar mehrere kapitalismuskritische Organisationen gibt. In der Praxis ist dieser Teil der Hamburger Linken aber schwach aufgestellt. Zudem gibt es diverse Subkulturen, Szenen, Gruppierungen, Einrichtungen usw., die eine aktivistische Politik entwickeln. Allerdings fehlen bei den Aktionen meist die analytische Schärfe und der antikapitalistische Standpunkt.

Ein Beispiel: Fast alle gehen gegen Nazis auf die Straße – das gehört im Jahr 2015 zum Common Sense und ist auch für uns eine Selbstverständlichkeit. Kaum jemand versucht aber zu verstehen, wo die Ursachen für die Entstehung faschistischer oder neofaschistischer Kräfte liegen und was man entsprechend gegen sie tun muss. Wenn sich die Analyse darin erschöpft, irgendwie „gegen Nazis“ zu sein, kann das sogar kontraproduktiv sein. Faschismus ist im wesentlichen eine Form bürgerlicher Klassenherrschaft, und deshalb gehört es zum antifaschistischen Kampf, auch den Kapitalismus und seine ProfiteurInnen zu bekämpfen. Entsprechend sehen wir z.B. keinen Sinn darin, gemeinsam mit dem SPD-Bürgermeister Olaf Scholz gegen Nazis auf die Straße zu gehen, der für alles einsteht, was Rot-Grün den Menschen und der Natur zugunsten des Kapitals aufgebürdet hat und was die Entstehung neofaschistischer und rechtspopulistischer Kräfte in der Bundesrepublik maßgeblich mit hervorgebracht hat – mal ganz davon abgesehen, dass die SPD für die Unterstützung von Faschisten in der Ukraine mitverantwortlich ist.

Darüber hinaus gibt es aufgrund der zunehmenden Integration von Teilen der Linken ins bürgerliche Lager viele Probleme, die fast gar nicht mehr von links thematisiert werden. Internationale Solidarität etwa wird nur noch dann geübt, wenn der Gegner mit dem Feindbild übereinstimmt, das bürgerliche Medien zusammenzimmern. Opposition gegen imperialistische Kriege der Bundesrepublik oder die Militarisierung im Inneren ist nahezu nicht mehr existent. Der Klassenkampf von unten wird, ebenso wie eine antiimperialistische Antikriegsposition, von vermeintlich emanzipativen Kräften sogar als „personalisierte“ und „verkürzte“ Kapitalismuskritik bekämpft.

Unsere Aufgabe sehen wir also darin, jene Organisationen und Einzelpersonen an einen Tisch zu bringen, die für eine antikapitalistische Gesellschaftskritik eintreten; eine Kritik, die klar aufzeigt, dass nur ein Bruch mit dem Kapitalismus wirklich eine befreite Gesellschaft ermöglicht. Gleichzeitig wollen wir auf konkrete Verbesserungen für die Mehrheit im Hier und Jetzt hinwirken, um die Lage der Lohnabhängigen und ihre Position im Klassenkampf zu verbessern. Natürlich sind das sehr große Ziele, und unsere Kräfte sind limitiert. Wir haben gerade erst angefangen, und wir gehen Schritt für Schritt. Was unsere Arbeit betrifft, haben wir uns in diesem Jahr auf zwei Themen konzentriert: Zum einen auf den 1. Mai, zum anderen auf die Hamburger Bewerbung für die Olympischen Spiele.

Ihr habt es selber kurz angesprochen: Hamburg hat eine mobilisierungsstarke autonome Linke, eine kommunistische und antiimperialistische Linke, und auch Gruppen wie die Interventionistische Linke – ehemals Avanti – und ihr Umfeld sind relativ präsent. Entsprechend unterschiedlich sind die Vorstellungen über antikapitalistische Organisation und gesellschaftliche Veränderung. Ihr habt euch als explizit „revolutionäre“ Linke gegründet – was heißt das für euch?

Weite Teile der Linken haben sich von der Vorstellung eines revolutionären Bruchs mit der kapitalistischen Produktionsweise und bürgerlicher Klassenherrschaft verabschiedet. An seine Stelle treten Ideen von „Transformation“ oder von kleinen „Rissen“ im gesellschaftlichen Gefüge. In der Konsequenz findet Politik dann oft nur noch in der eigenen Lebensführung statt. Die Dialektik von Reform und Revolution, wie man sie etwa in Rosa Luxemburgs Vorstellung „revolutionärer Realpolitik“ findet, und auch kulturell-lebensweltliche Veränderungen gehören zwar in das Programm einer revolutionären Linken und sind Teil des revolutionären Prozesses – Musik, Sport oder Kunst sind ja alles andere als unpolitische Bereiche der Gesellschaft. Und uns geht es auch nicht darum, Reformen im Hier und Jetzt klein zu reden oder Veränderungen, die an der individuellen Lebensführung ansetzen, rundheraus zu verdammen. Aber ohne eine Orientierung auf einen revolutionären Bruch handelt es sich bei den genannten Ansätzen letztlich um modernisierte sozialdemokratische oder individualistische Aussteiger-Strategien innerhalb der bestehenden Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse.

Die Attraktivität solcher Ansätze und ihre Beliebtheit innerhalb linker Diskurse speisen sich aus unterschiedlichen Quellen: Dem schwindenden Einfluss der Linken in der Bundesrepublik, dem steigenden Anpassungsdruck, dem Gefühl von Ohnmacht, dem – nachvollziehbaren – Wunsch nach unmittelbarer Veränderung, aber eben auch aus Opportunismus, Apparatschik-Treue und linksliberalen Ideologien.

All das ist aber kein Grund dafür, die vernünftige Erkenntnis von Marx und Engels zu verwerfen, dass es eines revolutionären Bruchs bedarf, um den Aufbau einer befreiten Gesellschaft überhaupt möglich zu machen. Dass diese Revolution auch eine Umwälzung der politischen Organisation der Gesellschaft beinhaltet, die Kultur umkrempeln und ein versöhntes Verhältnis von Mensch, Natur und Tieren herstellen muss, ist für uns selbstverständlich.

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