Quelle: http://www.jungewelt.de/2015/07-06/031.php
Kiew: »Rechter Sektor« fordert Krieg gegen Russland und Ende von »Minsk II«
Ukrainische Faschisten haben am Freitag in Kiew für eine Aufkündigung des im Februar in Minsk vereinbarten Pakets demonstriert. Sie zogen durch die Innenstadt vor das Gebäude des Ministerrats und verbrannten dort etliche Autoreifen. Aufgerufen hatten der »Rechte Sektor« und das Faschistenbataillon »Asow«. Die britische BBC sprach von etwa 1.000 Demonstranten, russische Medien nannten höhere Zahlen. Die Hauptforderung war eine neue militärische Offensive gegen die Volksrepubliken im Donbass. Präsident Petro Poroschenko solle die Beziehungen zu Russland abbrechen, im Land den Kriegszustand ausrufen und das Abkommen von Minsk für erledigt erklären.
Nach Angaben des russischen Portals lenta.ru hat die ukrainische Armee in den letzten Wochen ihre Truppenstärke im Osten des Landes systematisch aufgestockt. Insgesamt seien dort über 50.000 Soldaten stationiert, etwa doppelt so viele wie die Aufständischen. Die meisten der ukrainischen Soldaten seien allerdings mangelhaft ausgebildete und unmotivierte Wehrpflichtige. Die zahlenmäßige Überlegenheit der Armee bei schweren Waffen relativiert sich dadurch, dass deren Zustand schlecht ist. Das Kiewer Internetjournal korrespondent.ua veröffentlichte vor einigen Tagen interne Zahlen darüber, dass die Militärreparaturwerkstätten nur zehn bis 20 Prozent ihrer Aufträge termingerecht abarbeiteten; viele als kampftauglich an die Armee abgegebene Fahrzeuge blieben schon nach wenigen Kilometern wieder mit Pannen stehen. Die schnell geschulten Wehrpflichtigen seien vielfach nicht in der Lage, mit komplizierteren Waffen umzugehen. Auf seiten der Volkswehren seien Ausbildung und Motivation besser, allerdings stelle der Kräftemangel große Anforderungen an die Mobilität der Truppen. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass jede Seite aus unterschiedlichen Gründen auf eine neue Runde der Kämpfe hinarbeite.
Einstweilen zog die Führung der »Volksrepublik« Donezk allerdings ihre Kämpfer als »Zeichen des guten Willens« aus der Ortschaft Schirokino östlich von Mariupol zurück. Das Dorf, das ursprünglich in einer Pufferzone zwischen dem Bataillon »Asow« und den Einheiten der »Streitkräfte Neurusslands« lag, war im Januar von »Asow«-Angehörigen besetzt worden; in den letzten Monaten wurde es von beiden Seiten immer wieder mit Artillerie beschossen und ist inzwischen nach OSZE-Angaben weitgehend zerstört. Militärischen Wert besaß es nie.
Die Demonstration der Kriegsbefürworter in Kiew am Wochenende kam zu einem Zeitpunkt, an dem die Faschisten offenbar im ukrainischen Machtsystem aufgewertet worden sind. Laut einem Facebook-Eintrag von Dmitro Jarosch, dem Chef des »Rechten Sektors«, will dieser sich mit dem neuen Chef des Geheimdienstes SBU, Wasil Hrisak, getroffen und vereinbart haben, dass seine Organisation mit dem Dienst bei der Bekämpfung des »prorussischen Untergrunds« im Hinterland enger zusammenarbeiten werde. Damit würde eine Kooperation formalisiert, die in der Praxis schon länger funktioniert. Vor allem in Charkiw und Odessa kommt es immer wieder zu kleineren Anschlägen. So wurde vor einigen Tagen in Odessa eine Kneipe durch einen Brandanschlag zerstört, die einem Unterstützer der Rechten gehört. Der Anschlag fand mitten in der Nacht statt, so dass keine Besucher gefährdet wurden.
Die linke ukrainische Organisation »Borotba« veröffentlichte auf ihrer Webseite eine Analyse, in der sie von einer Faschisierung der Ukraine spricht. Mit Janukowitsch unzufriedene Oligarchen und die Rechten hätten einen Pakt geschlossen: Die Oligarchen duldeten den ideologischen Nationalismus der Faschisten, diese unterstützten im Gegenzug neoliberale »Reformen«. Das Ergebnis dieser Koalition sei der Maidan gewesen. Ukrainische Faschisten positionieren sich allerdings unter der Parole der »Korruptionsbekämpfung« immer wieder auch gegen die Regierung Jazenjuk. Die Einbindung des »Rechten Sektors« durch die Übertragung von Aufgaben bei der Bekämpfung innerer Gegner scheint eine Reaktion der Regierung auf diese Konflikte zu sein.