Daniela Gschweng / 02. Sep 2020 – Das US-Militär verbessert die Entschädigung für zivile Opfer in kleinen Schritten, anerkennt aber keine formellen Ansprüche.
Bei US-Militäreinsätzen kommt es immer wieder zu zivilen Verletzten und Todesopfern, deren Hinterbliebene entschädigt werden. Nach welchen Kriterien, ist uneinheitlich, intransparent und nicht standardisiert, kritisieren Opferhilfe-Organisationen seit Jahren. Die Opferzahlen, die Medien und zivile Organisationen präsentieren, und jene des US-Militärs liegen noch immer weit auseinander.
Seit 2018 ist das Pentagon bemüht, daran etwas zu ändern. Nicht zuletzt, weil das US-Parlament aufmerksam wurde. So muss das US-Verteidigungsministerium seit vergangenem Jahr Art und Umfang von Kompensationszahlungen an den Kongress rapportieren. Im Mai 2020 veröffentlichte es den ersten Bericht.
Mehr Helden als Opfer – und nur in zwei Ländern
Dieser umfasst sogenannte «Ex Gratia Zahlungen» für das Jahr 2019. Die Liste enthält 611 Posten, darunter 65 «Condolence Payments» in Afghanistan und sechs im Irak, 336 Kompensationszahlungen für Sachschäden in Afghanistan und 204 sogenannte «Hero Payments». Diese gehen an Angehörige von getöteten Kämpfern, deren Organisationen zusammen mit den USA am Einsatz beteiligt waren, wie etwa das afghanische Militär oder die afghanische Polizei. Die Liste enthält keine Einträge für Syrien, Jemen, Libyen und Somalia, obwohl die USA dort ebenfalls Krieg führen.
Die Vereinten Nationen schreiben für 2019 mehr als 500 zivile Getötete in Afghanistan den internationalen Streitkräften zu. Nach Schätzungen der Organisation «Airwars» sind beim Kampf gegen den sogenannten «Islamischen Staat» seit 2014 im Irak und in Syrien mindestens 8’200 Zivilisten ums Leben gekommen. In Somalia zählte die Organisaton 2019 zwischen 6 und 13 zivile Opfer von US-Luftangriffen, für zwei davon haben sich die USA verantwortlich gezeigt. Way to go also. Der Vergleichbarkeit halber muss an dieser Stelle gesagt werden, dass auch europäische Länder nicht immer transparent mit zivilen Opfern von Militäroperationen umgehen.
Fehler macht das «DoD» noch immer nicht
Die jüngste Neuerung im US-Prozedere trat im Juni 2020 als Interimsregelung in Kraft, die im Frühjahr 2021 finalisiert werden soll. Ein grosser Wurf ist sie nicht. Sie enthält Richtlinien für Berichterstattung und Dokumentation, legt Bezahlungsniveaus sowie Verantwortlichkeiten fest. Immerhin.
Kompensationszahlungen können bisher in der Höhe erheblich schwanken, in manchen Fällen gibt es auch gar keine, wie beispielsweise «Human Rights Watch» (HRW) berichtet.
Worauf nicht nur HRW, sondern auch Organisationen wie das «Center for Civilians in Conflict» (CIVIC) gehofft haben, ist nicht eingetreten: Das US-Verteidigungsministerium anerkennt weiterhin keine rechtliche und moralische Verpflichtung, zivile Kriegsopfer oder ihre Hinterbliebenen zu entschädigen. Kompensationszahlungen sind nach Ansicht des «Department of Defense» (DoD) noch immer eine Sympathiebekundung der USA.
Die Zahlungen sollen «autorisierten Kommandeuren» ein Mittel an die Hand geben, sich die lokale Bevölkerung wenn schon nicht gewogen, so doch wenigstens nicht zum Feind zu machen. Im Wortlaut: «freundschaftliche Beziehungen zu der örtlichen Bevölkerung … herzustellen und zu pflegen». Ausbezahlt werden Gelder ausschliesslich an Personen, die den USA «freundlich gesinnt» sind. «Kompensationszahlungen» dürfte man sie also eigentlich gar nicht nennen, eher «Strategiezahlungen».
Viele gehen leer aus, weil keine US-Truppen vor Ort sind
Auch in anderer Hinsicht gibt es noch viel zu tun. Anerkannt werden fast nur Schäden in Gegenden, in denen die USA mit Bodentruppen vor Ort sind. Schlechte Chancen haben deshalb etwa Opfer von Luftangriffen in Somalia. Es sei leichter «sowohl die Schäden einzuschätzen als auch Zahlungen zu leisten», wenn US-Truppen vor Ort präsent seien, begründet Luke Hartig, ehemaliger leitender Direktor für Terrorismusbekämpfung im Nationalen Sicherheitsrat von Barack Obama, gegenüber dem «Intercept». Er glaube aber nicht wirklich dieser Begründung, warum an anderen Orten keine Ex-Gratia-Zahlungen geleistet werden.