Die linken Wurzeln der Tierbefreiungsbewegung

Tierrechtsgruppe Zürich. In der theorie.org-Reihe des Schmetterling Verlags erscheinen seit 10 Jahren Einführungsbücher zu verschiedenen linken Themen. Mit dem neuesten Band „Antispeziesismus“ von Matthias Rude ist nun erfreulicherweise auch das Thema Tierbefreiung in der Reihe vertreten.
Rude Antispeziesismus
Der Begriff Antispeziesismus bezeichnet generell den Kampf sowohl gegen die Ausbeutung von Tieren als auch gegen die speziesistische Ideologie, mit der sie legitimiert wird (mehr zum Begriff und zum Thema Tierausbeutung findet sich im Interview mit der Tierrechtsgruppe Zürich, erschienen in der letzten Ausgabe des Vorwärts (Nr. 41/42)). Das Buch ist allerdings kein allgemeines Einführungsbuch zur antispeziesistischen Bewegung und ihren verschiedenen Ausprägungen und Strömungen, denn der Autor spricht lediglich aus der Sicht der Tierbefreiungsbewegung. Diese setzt sich für die Befreiung der Tiere – wie auch der Menschen –aus den gesellschaftlichen Unterdrückungsverhältnissen ein und versteht sich als Teil der radikalen Linken.

Verzicht auf Fleisch als Kritik
Aus linken Kreisen wird der Tierbefreiungsbewegung oft unterstellt, ihre Ideen kämen aus den oberen Klassen und sie wolle dem Proletariat bürgerliche Moralvorstellungen aufzwingen. Rude zeigt jedoch auf, dass zur Thematik eine weit zurückreichende, genuin linke theoretische wie praktische Tradition existiert, die proletarische Wurzeln hat. Das Buch wirft Schlaglichter auf Menschen und Strömungen innerhalb der historischen Linken, die das Ausbeutungsverhältnis gegenüber den Tieren thematisiert und bekämpft haben. Zudem wird die Entstehung der modernen Tierbefreiungsbewegung aus den Protestbewegungen der 60er Jahre beschrieben.

Menschen, die sich für die Verbesserung der Situation der Tiere einsetzten, waren oft auch in anderen
Befreiungskämpfen engagiert und sahen ihren Forderungen zur Befreiung der Tiere „traditionell als logische Folgerung der grossen emanzipatorischen Imperative.“ (12) So finden sich zahlreiche Verbindungen zwischen der Tierrechtsbewegung und der Arbeiter-, Frauen- oder Friedensbewegung. Den „Ursprung der Tierbefreiungsidee“ verortet Rude zu Beginn der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise, denn die Entstehung des Proletariats sei eng mit der Entstehung der Tierindustrie verbunden. Die Privatisierung von Gemeingütern und die Enteignung von Bauern stand in Zusammenhang mit dem Aufstieg der Wollindustrie. Angehörige der verarmten, nun in der Industrie arbeitenden Landbevölkerung, sahen Gemeinsamkeiten in ihrer eigenen Ausbeutung und der von Arbeitstieren. Schon früh wurde der Verzicht auf Fleisch als Kritik an den Privilegien der herrschenden Klasse und als Solidarität mit den Unterdrückten verstanden. Im Rahmen der bürgerlichen und proletarischen Revolutionen gab es immer auch Menschen, die den Befreiungsgedanken zu Ende dachten und eine Gesellschaft anstrebten, die Freiheit für alle leidenden Kreaturen gewähren sollte.

Aus dem Bann der bürgerlichen Ideologie treten
Ein weiterer, alter Einwand aus der Linken gegen die Tierbefreiungsbewegung ist, dass sie dem Menschen nicht
absolute Priorität zuweise. Dagegen wendet der Autor ein, dass Tier- und Menschenbefreiung keine gegensätzlichen Ziele verfolgen, denn die Ausbeutung des Menschen und der Tiere unterliege derselben Strukturlogik. Vertreter der Kritischen Theorie arbeiteten heraus, dass „die Geschichte der Anstrengungen des Menschen, über die Natur und die Tiere zu herrschen, auch die Geschichte der Herrschaft des Menschen über den Menschen ist“ (15). Der Kampf für die Befreiung der Tiere ist deshalb nicht zu trennen vom Kampf für die Befreiung der Menschen: „Das Streben nach der Befreiung der Tiere und der Wunsch, die Menschheit zu emanzipieren, verfolgen gar keine unterschiedlichen Ziele oder Interessen; sie lassen sich nicht gegeneinander ausspielen, im Gegenteil gilt: Tierbefreiung ist Voraussetzung und Resultat der Emanzipation des Menschen. Wenn sie kein anderes Verhältnis zur unterdrückten Natur und zu den Tieren entwickeln, können die menschlichen Emanzipationsbewegungen nicht zum Erfolg führen.“ (15) Der Autor fordert deshalb einerseits, dass die antikapitalistische Linke Tierausbeutung thematisieren muss, denn ansonsten stehe sie nicht an der Spitze der fortschrittlichen gesellschaftlichen Kräfte. Andererseits müsse die Tierbefreiungsbewegung „aus dem Bann bürgerlicher Ideologie treten“ (189). Zum Aufbau einer Bewegung zur gesellschaftlichen Befreiung wären beide ideale Bündnispartner.

Das Buch zeigt, dass der Tierbefreiungsgedanke „als Konsequenz, Fortsetzung und Erfüllung der auf den Menschen bezogenen emanzipatorischen Forderungen verstanden worden ist“ (185) und seinen Ursprung in der Solidarität mit Tieren als ebenfalls Ausgebeutete hat. Es ist deshalb nicht nur für Menschen aus der antispeziesistischen Bewegung, sondern für alle, die für eine solidarische Gesellschaft frei von Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen, unbedingt zur Lektüre zu empfehlen.
 
 
Das Buch: Matthias Rude: Antispeziesismus: Die Befreiung von Mensch und Tier in der Tierrechtsbewegung und der Linken. Stuttgart 2013, Schmetterling Verlag, Reihe theorie.org.
 
 
Diese Rezension ist erschienen in: Vorwärts, die sozialistische Zeitung, 06.12.2013, 69. Jahrgang, Nr. 43/44. www.vorwaerts.ch
 
Die Rezension als Pdf zum runterladen