Quelle: http://www.jungewelt.de/2012/08-31/019.php
Die hiesige Fleischindustrie boomt wie nie. Die Folgen dürften nicht nur Tierfreunde verärgern. Deutschland ist zu einem Eldorado des Lohndumpings geworden.
Es klingt wie aus einer anderen Zeit. Ein Subunternehmer des zur VION-Gruppe gehörenden Südfleisch-Schlachthofs im oberbayerischen Waldkraiburg macht Pleite. Am Tag darauf stehen ein rumänisches und ein deutsches Nachfolgeunternehmen auf der Matte. Doch anstatt die gut 170 Angestellten aus sechs Ländern weiterzubeschäftigen, wie es der Gesetzgeber vorsieht, sollen sie neue Verträge unterzeichnen, mit erheblichen Lohneinbußen. 50 Beschäftige weigern sich und werden prompt entlassen. Nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sollen in einigen Arbeitsverträgen Gehälter von 176 Euro monatlich plus Zuschüssen stehen. Auch ist von immensen Geldstrafen schon bei minimalen Schlachtfehlern die Rede.
»Da ist keine Ausnahme, sondern eher die Regel«, meint Bernd Maiweg. Der Gewerkschafter ist bei der NGG für die Fleischindustrie zuständig — »eine der härtesten Branchen Deutschlands«, wie er sagt. Werkverträge, Leiharbeit, mafiöse Arbeitsvermittler und Tarifflucht seien auf deutschen Schlachthöfen gang und gäbe; die Löhne so niedrig, daß die Betriebe häufig nur noch Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa finden. »Das macht die Gewerkschaftsarbeit nicht leichter.«
Politische Abhilfe ist kaum zu erwarten. »Die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft setzt damit ihren Wachstumspfad im Export fort«, freute sich der Staatssekretär des Agrarministeriums am Mittwoch bei der Vorstellung des neuen Agrarberichts. Um 12,3 Prozent auf 4,3 Milliarden Euro hat der Wert der ausgeführten Fleisch- und Wurstwaren im ersten Halbjahr 2012 zugelegt, wird darin verkündet. Ein weiteres Rekordjahr.
Die hiesige Fleischindustrie boomt wie nie zuvor, trotz Euro-Krise und stockender Weltkonjunktur. Acht Millionen Tonnen Schwein, Geflügel und Rind wurden 2011 in Deutschland produziert, Tendenz steigend. Viel zu viel für den heimischen Mark, weshalb immer mehr ins Ausland geht. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) wirft Branche und Regierung eine »aggressive Exportstrategie« vor. Tierschutzstandards würden verwässert, gesetzliche Restriktionen gelockert. Deutschland hat sich in weniger als zehn Jahren vom Fleischimporteur zur führenden Exportmacht Europas gemausert. Bei der Schlachtung von Schweinen liegt die BRD nur noch hinter China und den USA.
Ähnlich wichtig für den Boom sind die niedrigen Lohnkosten. »Deutschland behauptet seine seit Jahren stärker werdende Position mit dem Einsatz von Billiglohnkräften in Werkverträgen aus Mittel- und Osteuropa«, sagt Maiweg. Fest angestellte Beschäftigte werden immer seltener. Schlachtung und Verarbeitung werden nahezu komplett von Werkvertragsfirmen oder Leiharbeitern erledigt. Bei der vom Schalker Clubboß Conrad Tönnies geführten »Tönnies Lebensmittel GmbH & Co. KG« etwa sollen nach NGG-Angaben lediglich zehn Prozent der Belegschaft fest angestellt sein. Tönnies ist der größte Fleischkonzern Deutschlands. Bei VION Food sind es immerhin 50 Prozent.
Die niedrigen Produktionskosten haben sich auch im Ausland herumgesprochen. Immer mehr internationale Fleischunternehmen verlagern ihre Produktion hierher, um aus den vielfach noch existierenden tariflichen Standards ihrer Länder zu flüchten. So übernahm im vergangenen Jahr Danish Crown, die Nummer vier beim Schweinefleisch weltweit, den Oldenburger Großproduzenten D&S Fleisch GmbH. Allein in Dänemark seien durch solche Abwanderung in den vergangenen fünf Jahren rund 9300 Arbeitsplätze vernichtet worden, heißt es bei der NGG.
»In einem Schlachthof arbeiten oft mehrere Werkvertragsunternehmen aus verschiedenen Ländern nebeneinander.« Das sei oft kaum zu überblicken, meint Bernd Ramming, Sachgebietsleiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) in Rosenheim. Rein rechtlich sei den Unternehmen jedoch schwer beizukommen.
Mit der Erweiterung der Europäischen Union nach Osten gilt die sogenannte Dienstleistungsfreiheit. Ein Unternehmer in Polen oder Ungarn darf völlig legal etwa einem Schlachthof in Deutschland anbieten, eine bestimmte Menge Fleisch in einer bestimmten Zeit zu einer bestimmten Menge Wurst zu verarbeiten. Seine Beschäftigten verrichten ihr Werk im deutschen Betrieb, für sie gelten aber Arbeitsrecht und Lohnniveau des Entsendelandes. Ein Mindestlohn wie auf dem Bau oder in der Pflege existiert in der Fleischbranche nicht. Der deutsche Betrieb gibt mit dem Auftrag alle Verantwortung an seinen Subunternehmer ab.
Wie das aussieht, kann man in Waldkraiburg beobachten. »Der rumänische Subunternehmer Salamandra zahlt laut einem uns vorliegenden Arbeitsvertrag den rumänischen Mindestlohn von 175 Euro im Monat«, sagt Georg Schneider von der NGG-Region Rosenheim-Oberbayern. Weil aber nicht einmal in Rumänien ein Arbeiter bereit ist, für so wenig Geld so hart zu arbeiten, gebe es noch einmal zwischen 950 und 1400 Euro dazu, allerdings in bar, so Schneider. Er vermutet, daß das Subunternehmen den rumänischen Staat so um die Sozialversicherungsabgaben betrügt. Schneider betreut auch die 50 Entlassenen beim Südfleisch-Schlachthof. Sie haben mit Unterstützung der Gewerkschaft inzwischen gegen ihre Kündigungen geklagt. Es sehe nicht schlecht aus, meint er.
Die FKS hat im Fall des Waldkraiburger Schlachthofs eine »verdachtsunabhängige Prüfung« eingeleitet. Zu deren Stand könne man sich jedoch nicht äußern.
Johannes Schulten / Junge Welt vom 31. August 2012