Quelle: https://www.rüstungsreport.ch/?fbclid=IwAR1Jxo1JyIeCbxBHS85J8H1Z0JXqXTOs21RHz3dH10DZgiG8l_HyA2PrFEI
Die Konzerne, die Zulieferer, die Waffenhändler: Die WOZ gibt exklusiv Einblick in das verschwiegene Schweizer Rüstungsbusiness. Das sind die Profiteure im Geschäft mit dem Krieg.
Von Jan Jirát, Kaspar Surber (Text) und Marcel Bamert (Illustration)
Latifa Ahmed Musid schläft bereits, als in ihrem Schlafzimmer in Saada im Norden Jemens eine Bombe einschlägt. Die Bombensplitter treffen die junge Frau am linken Fuss, auch Ehemann Talal al-Shihri wird verletzt. Die beiden kleinen Kinder bleiben verschont. Amnesty International hat den Bombenangriff vom 15. Februar 2017 in einem Bericht präzise rekonstruiert. Demnach setzte die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition bei diesem Angriff offenbar international geächtete Streumunition ein. Amnesty konnte auch den Raketenwerfer identifizieren, von dem sie abgefeuert wurde: den Astros II der brasilianischen Waffenfirma Avibras.
Von der Kleinstadt Saada führt die Spur der mörderischen Waffe zum Avibras-Hauptsitz in São José dos Campos – und wie Recherchen der WOZ zeigen, weiter nach Zürich Oerlikon. Hier fertigt die Firma Rheinmetall Air Defence das Feuerleitsystem Fieldguard für den Astros II. Solche Feuerleitsysteme, die ein Geschoss möglichst treffsicher ins Ziel bringen, gehören unter den Rüstungsgütern aus der Schweiz seit Jahren zu den Exportschlagern. Die Lieferungen gehen insbesondere nach Brasilien, der Wert der Ausfuhren von Feuerleitsystemen dorthin betrug in den letzten fünf Jahren mehr als siebzig Millionen Franken. Höchstwahrscheinlich von der Rheinmetall zur Avibras: Erst kürzlich haben die beiden Firmen ihre Zusammenarbeit erneuert. Sie sei ein «Musterbeispiel internationaler Rüstungskooperation».
«Einmalige Daten»
Schweizer Rüstungsgüter, die in Kriegen und Konflikten auftauchen, sorgen immer wieder für Skandale, etwa 2012, als die SRF-«Rundschau» enthüllte, dass Handgranaten der Ruag im syrischen Bürgerkrieg eingesetzt werden. Diskussionen über Kriegsmaterialexporte verlaufen dabei stets nach dem gleichen Muster. Hier die ethischen Bedenken der GegnerInnen, dort die wirtschaftlichen Argumente der BefürworterInnen: Arbeitsplätze, Wettbewerbsfähigkeit, KMUs, Präzision, Innovation! Zwar veröffentlicht das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) jährlich Statistiken zur Art der exportierten Rüstungsgüter sowie zu den Zielländern. Wie aber die Firmen heissen, die am Waffenhandel beteiligt sind, wie stark sie vom Geschäft mit dem Krieg profitieren, auf welche Produkte sie spezialisiert sind: All das war bisher eines der bestgehüteten Geheimnisse der Schweiz.
Nun wird es endlich gelüftet. Nach einem fünfjährigen Rechtsstreit mit dem Seco veröffentlicht die WOZ exklusiv die Namen der in der Schweiz ansässigen Rüstungsproduzenten. Die Daten, die das Staatssekretariat unserer Zeitung nach einem Urteil des Bundesgerichts herausgeben musste, erlauben einen bisher nicht gekannten Einblick in die Schweizer Rüstungsindustrie. Sie enthalten für jede der rund 150 im Geschäft tätigen Firmen die jedes Jahr bewilligte Exportsumme. Zusätzlich ist die Kategorie angegeben, in der sie Rüstungsgüter oder Bestandteile exportieren durften: Munition, Handfeuerwaffen, Panzer, Luftfahrzeuge et cetera. Nicht ersichtlich ist aus den Seco-Daten – Geschäftsgeheimnis! –, ob die bewilligten Exporte auch tatsächlich erfolgt sind und welche Güter konkret an welche Kunden geliefert wurden: ob an Armeen, Polizeieinheiten oder andere Rüstungsunternehmen.