Die Sozialwissenschaftlerin und langjährige Tierbefreiungsaktivistin Melanie Bujok hielt am 20. Februar auf Einladung der Tierrechtsgruppe Zürich einen Vortrag zum Thema „Tierkapital, soziale Ungleichheit und Unfreiheit”. Die Veranstaltung war mit über 60 BesucherInnen gut besucht.
Die kapitalistische Produktionsweise und ihre zerstörerischen Tendenzen bedeuten nicht nur für die lohnabhängigen Menschen Gewalt und Unterdrückung, sondern auch für die Tiere. Auch sie werden für den Prozess der Kapitalakkumulation zugerichtet. Sie werden als Ware in Wert genommen und dem Produktionsprozess als Material einverleibt. Was dies konkret für die Tiere bedeutet, ist schier unbeschreiblich: in Schlachthöfen werden sie auf dem Laufband ermordet und zerstückelt, in Versuchslabors werden sie verstümmelt und ihre Knochen zertrümmert, in Zirkussen werden sie versklavt und ausgestellt usw. Allerdings scheinen die Begriffe, mit denen wir für gewöhnlich zwischenmenschliche Unterdrückungsverhältnisse beschreiben, nicht wirklich auf Tiere anwendbar zu sein. So sind Tiere etwa keine Klasse im Marxschen Sinne und sie werden auch nicht als Lohnabhängige ausgebeutet. Wie können wir also die Rolle von Tieren in den ökonomischen und sozialen Tauschverhältnissen kapitalistischer Gesellschaften begreifen? Und welcher Zusammenhang besteht zwischen der Unterdrückung der Tiere durch Menschen und der Herrschaft des Menschen über Menschen? Um diese und weitere Fragen drehte sich die Veranstaltung mit Melanie Bujok, ohne darauf eine abschließende Antwort zu geben.
In einem ersten Teil ging Bujok auf die spezifische Unterdrückung ein, der Tiere im Kapitalismus ausgesetzt sind. In den Tauschverhältnissen dieser Gesellschaft sind sie keine Tauschsubjekte, sondern bloße Objekte. Sie dienen lediglich als Produktionsmittel und Waren. Im Gegensatz zu den Menschen können sie nicht einmal über ihre eigene Arbeitskraft verfügen. Wie die LohnarbeiterInnen bringen sie der Industrie aber definitiv hohe Profite ein und die Ausbeutung der Tiere ist für die herrschende Klasse somit auch ein unverzichtbares Mittel zum Zweck der Mehrwertproduktion. Daraus schließt Bujok, dass auch zur Befreiung der Tiere die kapitalistische Klassengesellschaft überwunden werden muss. Sie weist aber darauf hin, dass das heutige Mensch-Tier-Verhältnis gleichzeitig zudem durch Eigenschaften der längst überwunden geglaubten Sklavenhaltergesellschaft geprägt ist. Die Tiere sind keine freien Akteure auf dem Arbeitsmarkt, sondern sind einem anderen Zwang ausgesetzt als die LohnarbeiterInnen. Sie sind zu Handlungsunfähigkeit und beinahe totaler Unfreiheit verdammt, da sie zum einen oftmals nicht einmal über ihren eigenen Körper und über andere Ressourcen verfügen und zum anderen nicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse politisch antworten können. Tiere antworten jedoch mit direkter Widerständigkeit und reagieren nicht bloß auf ihre Zurichtung wie etwa Dinge. In Erwartung einer Antwort setzt der Mensch Techniken ein, um den Willen der Tiere zu brechen und zu kontrollieren. Bujok zeigte dazu ein Bild eines Schweines, welches durch den engen Kastenstand gezwungen wird, an Ort und Stelle stehen zu bleiben und dabei keine Chance zur Flucht aus der Gefangenschaft hat.
In einem zweiten Teil ging Bujok auf die Bedeutung der Tiere als Ressource zwischenmenschlicher Ungleichheitsverhältnisse ein. Sie trugen als eines der ersten Tausch- und Arbeitsmittel – als Tierkapital – unter den jeweiligen gegebenen gesellschaftlichen und Umweltbedingungen früh zur materiellen Erhaltung des Menschen bei. Die Akkumulation von Tierkapital führte zu einer besseren sozialen Stellung und zur Steigerung des materiellen Wohlstandes. Die Knappheit der tierlichen Ressourcen bzw. die soziale Verknappung durch Zugangsbeschränkungen führte dabei zu Machtverhältnissen zwischen den Menschen. Die Tötung und Nutzung von Tieren trug damit wesentlich zur Herausbildung der Klassengesellschaft wie auch anderer Ungleichheitsverhältnisse, wie derer zwischen den Geschlechtern oder zwischen Ethnien, bei. Tierprodukte werden weiter auch als symbolisches Kapital eingesetzt. Die herrschende Klasse versucht sich durch einen bestimmtem Klassenhabitus von den unteren Klassen abzugrenzen. Dazu gehört z.B. das Tragen von Pelzprodukten oder das Jagen. Diese klassenspezifischen Habitusformen dienen zur Abbildung und Reproduktion der eigenen Klassenzugehörigkeit. Entscheidend für die soziale Wirksamkeit von Tierprodukten als Machtdemonstrationen ist der entgegengesetzte Wille des tierlichen Individuums. Die Überwältigung des Tieres macht den symbolischen Wert dieser Produkte aus. Auch die Dressur von Tieren, z.B. im Zirkus, dient durch Beherrschung und Zähmung des tierlichen Individuums zur Vergewisserung der eigenen Spezieszugehörigkeit und damit zur Abgrenzung. Der Zoo wiederum grenzt Tiere nicht nur aus, indem sie eingeschlossen werden, sondern ist auch ein Machtsymbol des Imperialismus. In seinen Gehegen und Käfigen werden lebende Trophäen aus der ökonomisch globalisierten und beherrschten Welt zur Schau geboten.
Dieser Artikel erschien auch in der Printausgabe des vorwärts vom 14.3.2013.