Austauschbare Arbeitskräfte

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/330903.austauschbare-arbeitskr%C3%A4fte.html?sstr=austauschbare%7Carbeitskr%C3%A4fte

Wurstfabrikant Tönnies hat den Umsatz 2017 steigern können. DGB erhebt schwere Vorwürfe wegen System von Subunternehmern

Von Simon Zeise

Tönnies ist der größte Schweineschlachter in Deutschland. Am Stammsitz, im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück, präsentierte der Konzern am Montag seine Jahresbilanz. Im vergangenen Jahr wurde mit Fleischprodukten ein Umsatz von 6,9 Milliarden Euro erzielt – ein Zuwachs von mehr als einer halben Milliarde Euro im Vergleich zu 2016.

Damit wachse Tönnies nach eigenen Angaben gegen den Markttrend. Es gebe unter anderem ein breiteres Angebot an Produkten für Handel, Großverbraucher und Industrie. Aber auch die Schlachtzahlen konnten gesteigert werden. Weltweit tötete Tönnies 20,6 Millionen Schweine – ein Plus von einem Prozent. Der Auslandsabsatz sei ein wenig zurückgegangen.

Jedoch konnte die Menge der geschlachteten und zerlegten Rinder um zwei Prozent auf 430.000 gesteigert werden.

Insgesamt sieht die Gewinnentwicklung rosig wie Roastbeef aus. Ob sich die Beschäftigten auch darüber freuen? Die Beratungsstelle »Faire Mobilität« des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) erhebt schwere Vorwürfe gegen Tönnies. In einem Artikel unter dem Titel »Ausgeschlachtet – Werkvertragsbeschäftigte in der Fleischindustrie« wurde am 2. Februar der Fall eines Arbeiters im Tönnies-Werk geschildert.

Der aus Bulgarien stammende Ivan Damilov (Name geändert) habe bei einem Subunternehmen im Schlachthof angeheuert. Seine Aufgabe habe darin bestanden, Schweineköpfe mit einer großen elektrischen Säge zu zertrennen. Doch das diktierte Tempo sei nicht zu schaffen. »Kaum hat er das eine Tier zerteilt, ist schon das nächste an der Reihe. Hinter ihm steht ein Vorarbeiter, der ihn anbrüllt: Schneller, schneller! So geht das stundenlang«, heißt es in dem Artikel. »Irgendwann bleibt die Säge in einem Schweinekopf hängen. Damilov will sie herausziehen, fasst die Säge kurz von unten an, um sie hochzuheben.« Dabei sei das Unglück passiert: »Die Säge frisst sich durch den Schutzhandschuh und trennt das letzte Glied seines kleinen Fingers fast vollständig ab.« Doch niemand habe einen Krankenwagen gerufen. »Statt dessen schreit ein Vorgesetzter einen Kollegen an, der Damilov zu helfen versucht, er solle sofort einspringen, damit das Fließband nicht gestoppt werden müsse.« Der Finger sei vor Ort notdürftig verbunden und Damilov nach Hause geschickt worden. Das Wochenende stand vor der Tür, wird berichtet, er solle am Montag wieder normal zur Arbeit kommen. »Zwei Tage lang hält Damilov die Schmerzen aus. Am Montag morgen sucht er Hilfe. In einer Apotheke verständigt er sich mit Händen und Füßen. Eine Kundin nimmt sich seiner an und bringt ihn ins Krankenhaus.« Damilov wurde sofort operiert und im Anschluss mehrere Tage stationär behandelt. »Aus dem Krankenhaus entlassen, muss er feststellen, dass sein Bett in der Arbeiterunterkunft bereits neu belegt ist. Er könne nach Bulgarien zurückkehren, wird ihm mitgeteilt.« Die DGB-Beratungsstelle habe vor Gericht wenigstens sein nicht mehr gezahltes letztes Monatsgehalt erstreiten können.

»Faire Mobilität« erklärt: »Die Schlachthofunternehmen können es sich erlauben, mit Menschen wie Herrn Damilov so umzuspringen, weil sie über ein System von Subunternehmern und Vermittlern in der Lage sind, jederzeit ›Nachschub‹ zu organisieren.« Juristisch sei dieses Vorgehen kaum angreifbar, weil ein Großteil der Arbeitskräfte keinen direkten Vertrag mit den Unternehmen habe, sondern bei Subunternehmen angestellt sei. Im Produktionsbereich der Fleischindustrie betreffe dies bis zu 90 Prozent der Beschäftigten. Bei den Subunternehmen handele es sich häufig um Briefkastenfirmen, die, sobald Probleme entstehen, vom Markt verschwinden und dann unter neuem Namen wieder auftauchten. »Bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne sind kaum durchsetzbar«, konstatieren die Autoren von »Faire Mobilität«. Auf jW-Nachfrage erklärte ein Sprecher von Tönnies am Montag, er wolle »den Fall prüfen«.