§278a-Prozess in Österreich: Urteile verschriftlicht

Quelle: http://antirep2008.org

Schriftliches Urteil im §278a-Verfahren zugestellt

Anfang Februar wurde mit der Zustellung des schriftlichen Urteils im 278a-Verfahren an die dreizehn Angeklagten, ihre Verteidiger_innen, die Staatsanwaltschaft und diverse Privatbeteiligte begonnen.. In dem lange erwarteten Urteil liefert Arleth eine ausführliche schriftliche Begründung des vollumfänglichen Freispruchs der Tierrechtsaktivist_innen vom 2. Mai 2011.

Ganze neun Monate nach dem in Wr. Neustadt gefällten Urteil bestärkt Einzelrichterin Sonja Arleth in der nun endlich fertig gestellten schriftlichen Ausfertigung ihre Argumentation des umfassenden Freispruchs der dreizehn politischen Aktivist_innen. Über vierzehn Monate war diesen wegen des Vorwurfs der Bildung und Mitgliedschaft (in) einer Kriminellen Organisation (§278a), versuchter schwerer Nötigungen, Sachbeschädigung, Tierquälerei (!) und anderen Vorwürfen der Prozess gemacht worden.

Arleth liefert in dem 385 Seiten umfassenden Konvolut nicht nur umfangreiche Begründungen für ihren Freispruch, sondern schließt sich in vielen Punkten den Argumentationen der Angeklagten und ihrer Verteidiger_innen an und bestärkt damit deren politisches Engagement und dessen Legitimität. Außerdem untermauert sie ihre bereits in der mündlichen Urteilsverkündung geäußerte Kritik an den Ermittlungsmethoden der Sonderkommission “Pelztier”.

Bezüglich der freien Meinungsäußerung in punkto militanter Aktionen etc. schreibt Arleth:

“Mag es auch für den Durchschnittsbürger bedenklich sein, dass manche Personen der Tierrechtsbewegung Sachbeschädigungen, Brandanschläge, Tierbefreiungen, somit Straftaten nach dem Strafgesetzbuch als legitimes Mittel zur Verfolgung von Zielen sehen, ist dies alleine für sich gesehen strafrechtlich im Hinblick auf §278a StGB unerheblich. Das umfassende, erschöpfende Beweisverfahren ergab, dass die ALF keine kriminelle Organisation im strafrechtlichen Sinn ist. Einzelpersonen bzw. Kleingruppen verüben unter dieser ‘ALF-Ideologie’ Straftaten, unabhängig, frei von Organisationsstrukturen, frei von Weisungsgebundenheiten.”

Staatsanwalt Handler, der Ankläger, sah in der “ALF-Ideologie” noch einen eindeutigen Hinweis auf die Mitgliedschaft in einer kriminellen Struktur.

Andernorts schreibt Arleth: “Bei manchen Angeklagten war ein Sympathisieren mit der ‘ALF-Ideologie’ nachweislich”, welche die Richterin als “eine Gesinnung, die in einer Demokratie als zulässig erachtet werden muss” beschreibt.
Wolfgang Handler vertritt in seiner Anklage die Ansicht, die Tierrechtler_innen würden verschlüsselte Kommunikation zur “Abschottung vor Strafverfolgungsbehörden” nutzen und damit in einem weiteren Punkt den Straftatbestand des §278a erfüllen. Angeklagte konnten, wenn auch anfangs gegen viele Widerstände des Gerichts, die Legitimität von Datenschutz und Verschlüsselung (durch Programme wie PGP, GnuPG, Truecrypt und dmCrypt) erklären.

Im Urteil wird schließlich genau diese Argumentation bestätigt:

“Es kann nicht festgestellt werden, dass Verschlüsselungen dazu dienten, sich vor Strafverfolgungsmaßnahmen hinsichtlich von durch unbekannte TäterInnen begangenen Straftaten wie Sachbeschädigungen etc., abzuschirmen.”

“…Daraus ergibt sich auch, dass Verschlüsselungen nicht nachweislich mit der Förderung der Begehung von strafbaren Handlungen nach dem StGB in Zusammenhang gebracht werden können.”

“Die Verschlüsselung diente auch der Abschirmung der Tierrechtsbewegung, einer ‘Protestbewegung’. Aktionen des ‘zivilen Ungehorsams’ sollten nicht durch Mitlesen von Personen, die das Gedankengut der ‘Protestkultur’ nicht in sich tragen bzw. damit sympathisieren, geschützt werden. So besteht für Anhänger der ‘Protestbewegung’ die Gefahr, dass Aktionen des ‘zivilen Ungehorsams’ durch Informationen an die Polizei vereitelt werden könnten, z.B. Jagdsabotagen. Verschlüsselungen von Dateien wurden auch vorgenommen, weil Angst vor einem ‘Überwachungsstaat’ (…) vorliegend war/ist.”

Ähnlich wie in der mündlichen Urteilsverkündung übt die Richterin massive Kritik an den polizeilichen Ermittlungsmethoden der Soko “Pelztier”: “Die Ermittlungen waren so umfassend und intensiv, dass geradezu von einer außergewöhnlichen ‘Ermittlungsmaschinerie’ gesprochen werden kann”, so eine Formulierung im Urteil.
Insbesondere der lange durch die Soko-Leitung vertuschte Einsatz der für 16 Monate eingeschleusten verdeckten Ermittlerin ‘Danielle Durand’ zog Kritik auf sich, ebenso das Einsetzen von Denunziant_innen in einer Tierschutz-NGO in Form von ‘Vertrauenspersonen’ durch die Polizei. Arleth findet eindeutige Worte zu Aussagen leitender Soko-Beamt_innen, die medial immer wieder als ‘Falschaussagen’ betitelt wurden (z.B: hier):

“Wenn Mag. Erich Zwettler weiters angab, nichts von einer Vertrauensperson gewusst zu haben, dann ist das ebenfalls als schlichte Schutzbehauptung zu werten. Der Zeuge AI Raab gab in der Hauptverhandlung an, dass die SOKO-Leitung, die Mag. Zwettler inne hatte, wegen einer Vertrauensperson angefragt habe.”

Staatsanwalt Wolfgang Handler, der schon kurz nach Urteilsverkündung Nichtigkeit und Berufung anmeldete, hat ab Zustellung des schriftlichen Urteils vier Wochen Zeit, eine allfällige Nichtigkeitsbeschwerde und/oder ausführliche Begründung einer Berufung zu liefern, die er allerdings Oberstaatsanwaltschaft und Justizministerium noch zur Überprüfung vorlegen müsste (sh. derstandard.at).

Danach hätte die Verteidigung weitere vier Wochen Zeit zur Gegenäußerung (§467 StPO). Ausdehnungen der jeweiligen Fristen sind in großen Verfahren möglich [Update 13.02.: Der Staatsanwalt hat eine Fristverlängerung beantragt – diesem Antrag wurde von Einzelrichterin Arleth stattgegeben. Die Frist zur etwaigen Ausformulierung der Berufung bzw Nichtigkeit läuft daher bis Ende Juni. Arleth stellte der Verteidigung eine ähnliche Fristverlängerung – sofern notwendig – in Aussicht. Sh. derstandard.at]. Danach müsste das Oberlandesgericht über die Anträge entscheiden. Eine erneute Hauptverhandlung in erster Instanz (Nichtigkeit) und eine Neubewertung der Schuldfrage in 2. Instanz (Berufung) wären mögliche Entscheidungen. Auch ein teilweises Stattgeben einer Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung wäre möglich. Andernfalls wäre der Freispruch rechtskräftig.

Dass trotz der Entscheidung Richterin Sonja Arleths im §278a-Verfahren in Wr. Neustadt kein genereller Gesinnungswandel statt gefunden hat, zeigt nicht nur die Tatsache der „Herabstufung“ der Richterin zur Haftrichterin, sondern auch die Beförderung Staatsanwalt Handlers zum ersten Staatsanwalt des Landesgerichts. Wr. Neustadt bleibt also weiterhin ein “Hort des Obskuren”.