Geschichte Chiles: Jenseits der Illusionen

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Vor 50 Jahren gewann Salvador Allende die Präsidentschaftswahlen in Chile. Er strebte sozialistische Reformen an, ließ jedoch den Staats- und Militärapparat unangetastet. Mit fatalen Folgen.

Von Michael Holzmann

Sozialismus – ein Wort, das die Kapitalisten und die Herrschsüchtigen dieser Welt schon immer als Kriegserklärung betrachten. Der Einsatz für eine lebenswerte Welt für alle war und ist eine gefährliche Sache. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass die Privilegierten zu jedem Mittel greifen, um ihre Position zu sichern. Deshalb mussten und müssen die Sozialisten ein hohes Maß an Opferbereitschaft aufbringen in ihrem Kampf um eine bessere Welt. Salvador Allende war einer von ihnen.

Der Weg zum Wahlsieg

Allende wurde am 26. Juni 1908 geboren. In einer Zeit, als in Chile trotz großen Rohstoffreichtums rund die Hälfte der Bevölkerung schlecht ernährt war, 600.000 Kinder litten gar an Unterernährung, beschloss er, ein Medizinstudium aufzunehmen, das er 1933 abschloss.

Im selben Jahr entstand die Sozialistische Partei Chiles, in der Allende von Anfang an eine prägende Rolle spielte. 1937 wurde er nicht nur zum ersten Mal ins Parlament Chiles, sondern auch zum Generalsekretär der Sozialistischen Partei gewählt. In dieser Zeit wuchs ähnlich wie in Europa der Wunsch nach einer »Volksfront«, also einem organisatorischen Zusammenschluss aller antifaschistischen und fortschrittlichen, an grundsätzlichen Veränderungen in der Gesellschaft interessierten Kräfte. Die »Frente Popular Chileno« konnte 1938 sogar die Präsidentschaftswahlen gewinnen. In der Folge wurde Allende Gesundheitsminister, schnell bekam er den Beinamen »Minister der Armen«. Seine neue Position versuchte er zu nutzen, um Gesetze für eine bessere Gesundheitsversorgung zum Schutz der Kinder und zum Aufbau eines sozialen Sicherungssystems auf den Weg zu bringen.

1952 wurde Allende erstmals Präsidentschaftskandidat einer von ihm gegründeten neuen Volksfront, der vor allem von Sozialisten und Kommunisten getragenen »Frente Nacional del Pueblo«, konnte aber die Wahl nicht gewinnen. 1958 kandidierte Allende erneut – diesmal für die »Frente de Acción Popular« – und verfehlte diesmal den Sieg nur knapp. Trotz der Niederlage und des Erfolgs der kubanischen Revolution in dieser Zeit hielt Allende an seiner Strategie der Machterringung durch bürgerlich-demokratische Wahlen fest. Er umriss einen chilenischen Sozialismus, der freiheitlich, demokratisch und mit einem Mehrparteiensystem vereinbar sein solle. Entscheidend dabei sei, ein breites Bündnis aller progressiven Kräfte im Land zu schmieden. Der Weg, den Allende beschreiten wollte, war dennoch kein sozialdemokratischer Weg, denn er wollte an die Wurzeln des gesellschaftlichen Übels und eine radikale Demokratisierung aller Bereiche des sozialen Lebens. Das Beziehungsgefüge zwischen den Chilenen sollte von den Werten der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit bestimmt sein. Dies durchzusetzen war schon schwer genug im Kampf gegen den Kapitalismus. Zusätzlich bedrohte dieser Weg auch die Interessen der Großmächte, vor allem die der USA, die sich besonders in Lateinamerika als Unterstützerin der Kapitalbesitzer verstanden. Denn US-amerikanische Konzerne waren große Nutznießer des unter anderem aus ergiebigen Kupferminen stammenden relativen Wohlstands Chiles.

1964 unterlag Allende abermals im Kampf um die Präsidentschaft gegen den Kandidaten der Christdemokraten, Eduardo Frei. Dessen Wahlsieg war durch viel linke »Revolutionsrhetorik« ermöglicht worden, ohne dass in den folgenden sechs Jahren Taten folgten. Die Lehre Allendes aus der Niederlage: linke Bündnisse müssten auf noch breiterer gesellschaftlicher Basis erfolgen. Mit der 1969 neu geschaffenen »Unidad Popular« (UP, Volkseinheit) wurde versucht, das umzusetzen. Sie umfasste neben Sozialisten, Kommunisten auch die Sozialdemokratische Partei, die Partei linker Christen, die MAPU (eine abgespaltene Gruppe linker Christdemokraten) und die seit 1965 existierende »Bewegung der revolutionären Linken« (Movimiento de Izquierda Revolucionaria, MIR), die allerdings nicht offiziell beteiligt war. Allende bemühte sich, Verbindungen zu konservativen Institutionen wie der katholischen Kirche und dem Militär herzustellen, um Gemeinsamkeiten auszuloten. Der Weg zum Sozialismus sollte sich frei von Blutvergießen und im maximal möglichen Konsens der verschiedenen Kräfte in der Gesellschaft vollziehen. Es war nicht seine Art, die offene Konfrontation anzunehmen.

Die Unidad Popular beschloss, für die Präsidentschaftswahlen am 4. September 1970 Allende zu ihrem Spitzenkandidaten zu küren. Zum ersten Mal errang Allende eine relative Mehrheit. Mit 36,6 Prozent der Stimmen landete er knapp vor dem Kandidaten der politischen Rechten, Jorge Alessandri, der 35,3 Prozent erzielte. Der »linke« Christdemokrat Rodomiro Tomic landete mit 28,1 Prozent auf dem dritten Platz.

Nun wurde offenbar, dass das Bekenntnis der bislang Herrschenden zur Demokratie doch nicht mehr galt, sobald eine Mehrheit an ihrer Machtbasis rütteln wollte. Die USA nahmen von Anfang an starken Einfluss auf die Akteure und übten Druck auf das Militär aus, um durch einen eventuellen Putsch den Regierungsantritt Allendes zu vereiteln. Im Oktober 1970 wurde der gemäßigte Armeechef René Schneider, der sich diesen Plänen verweigerte, von einem CIA-gestützten Kommando ermordet. Aber nachdem die Putschpläne offenbar wurden, fühlten sich auch die bürgerlichen Parteien gezwungen, am 4. November 1970 im Parlament Allende zu wählen.

Es gab viel zu tun in diesem potentiell reichen Land. Zu dem Problem der unzureichenden Ernährung kam hinzu, dass 500.000 Familien keine Wohnung hatten (bei damals zehn Millionen Einwohnern). 80 Prozent des fruchtbaren Bodens war im Besitz von nur rund vier Prozent der Bevölkerung. Schnell machte sich Allende an die ersten Schritte: Die Löhne wurden um etwa 50 Prozent erhöht, die Mieten und die Preise für wichtige Grundbedarfsmittel wurden gesenkt, Schulbildung und Gesundheitsversorgung wurden kostenfrei, Alphabetisierungsprogramme wurden forciert, und darüber hinaus sollte jedes Kind umsonst Schuhe und einen halben Liter Milch täglich erhalten. Dazu kam eine Landreform, in deren Rahmen brachliegendes Land an hungernde Landarbeiter verteilt wurde. Die kräftigen Lohnerhöhungen führten schon im ersten Jahr zu einer starken Nachfrage, was wiederum die Wirtschaft ankurbelte und neue Arbeitsplätze schuf.

Ein weiterer wichtiger Baustein für die Schaffung gerechterer Lebensverhältnisse war die Verstaatlichung des Kupferbergbaus. Jahrzehntelang hatten US-Konzerne die Ressourcen geplündert. Die Einnahmen kamen nun allen Chilenen zugute. Schließlich entschloss sich die Regierung, die existentiellen Bereiche der Wirtschaft unter staatliche Kontrolle zu stellen, unter anderem die Stromversorgung, die Telekommunikation, die Textilbranche, den Außenhandel, die Stahlbranche und die Filialen der ausländischen Banken.

Störmanöver der Privilegierten

Das Jahr 1971 war zweifellos das erfolgreichste Jahr der Regierung Allende. Der nun für alle spürbare wirtschaftliche Aufschwung stand jedoch auf sehr labilem Grund. Die Reformen mussten finanziert werden, ein Konflikt mit der reichen Oberschicht war unausweichlich. Es kam zu einem enormen Abzug privaten Kapitals aus dem Land. Von Beginn der Präsidentschaft Allendes an wurde von Teilen der Privilegierten zudem alles getan, um die Reformpolitik der Unidad Popular im Keim zu ersticken. Einige private Unternehmen hielten bewusst Waren zurück, um auf diese Weise Versorgungsengpässe zu provozieren, für die sie dann die Regierung verantwortlich machen konnten.

Auf die Verstaatlichung des Kupferbergbaus reagierte die US-Regierung mit einem umfassenden Handelsembargo gegen Chile. Die Oligarchie setzte alles daran, dass es zu wirtschaftlichen Problemen kam. Die Polarisierung im Land nahm stetig zu. War sie unvermeidlich? Ohne Zweifel begnügte sich die Regierung nicht mit kleinen sozialdemokratischen Kurskorrekturen, um ansonsten das Wirtschaftssystem nicht weiter anzutasten. Allende wollte das, was er seinen Wählern versprochen hatte, auch umsetzen.

Der harte Kern der bürgerlichen Opposition – die Nationalpartei – setzte sich das Ziel, die Regierung noch vor den nächsten regulären Wahlen zu stürzen. Der Hebel dazu sollte ein am 11. Oktober 1972 ausgelöster Streik der Spediteure sein, dem sich in kurzer Zeit auch die Händler anschlossen. Die Großunternehmen versuchten, die Produktion zu stoppen, und in der Hauptstadt Santiago wurden durch Streik und Produktionsstopp 70 Prozent der Autobusse lahmgelegt. Allgemein belastete der Mangel an Ersatzteilen, eine Folge des Embargos gegen Chile, das wirtschaftliche Leben. Es wurde zusehends schwieriger, die Waren des täglichen Bedarfs für die Bevölkerung bereitzustellen, viele Produkte wurden nur noch auf dem Schwarzmarkt angeboten. Grundgedanke dieser Strategie war, den Menschen vor Augen zu führen, wie unfähig die Regierung sei.

Der Streik traf die chilenische Wirtschaft tatsächlich ins Mark, jedoch entwickelte sich aus dieser Not etwas Neues und Erstaunliches. Die Arbeiter absolvierten einen Schnellkurs in Sachen Selbstorganisation – sowohl bei ihrer »Übernahme« der von den Kapitaleignern stillgelegten Großbetriebe als auch im Agrarsektor. Das Agrarreformgesetz sah ausdrücklich vor, schlecht wirtschaftende Höfe enteignen zu lassen. Die nun in Eigenregie von den Arbeitern geführten Großbetriebe funktionierten besser als vorher. Es entstanden gutorganisierte Arbeiterbasisbewegungen – zu nennen sind die »Kordon Cerrillos« sowie die »Kommunalkommandos«, deren schnelle Entwicklung das traditionelle Übergewicht des Kapitals in Frage stellte. Die Arbeiter nannten ihre neuen Organisationsformen »Volksmacht«.

Nachdem das Ziel – der Sturz der Regierung Allende – dank des Organisationsgeschicks der Arbeiter nicht erreichbar war, wurde am 10. November 1972 der Streik beendet. Ergebnis war ein enorm gestiegenes Selbstbewusstsein der Arbeiter, das jedoch auch ein gewisses Unbehagen in der Führung der Linksparteien hervorrief. Dennoch bleibt es unverständlich, dass Allende nun verstärkt auf die Unterstützung der Armeeführung setzte. Das begann mit der Ausrufung des Notstands, welcher der Armee die Aufgabe zuwies, nun »für Ordnung zu sorgen«. Allende ging jedoch noch weiter.

In seinem Bestreben, den verfassungstreuen Flügel der Armee zu stärken und an sich zu binden, ernannte er führende Militärs zu Ministern, allen voran den Armeechef Carlos Prats, ein besonnener Mann, der Garant für eine fortdauernde Zurückhaltung der Militärs zu sein schien und neuer Innenminister wurde. Es entstand ein Abhängigkeitsverhältnis. Allendes Bündnis mit der Armeeführung ließ ihn vergessen, dass sich im bürgerlichen Staat das Militär letztendlich immer den Interessen der Besitzenden verpflichtet fühlt. Das um so mehr, wenn – wie im chilenischen Offizierkorps – ein nicht geringer Teil in den USA ausgebildet wurde.

Zusammenschluss der Bürgerlichen

Allendes ursprüngliche Idee einer Annäherung an den »linken« Flügel der Christdemokraten scheiterte, es entstand nun eine Situation, in der das eher heterogene bürgerliche Lager aus Christdemokraten und rechtskonservativer Nationalpartei sich zu einem Wahlbündnis für die anstehenden Wahlen zum Kongress zusammenschloss, die am 4. März 1973 stattfanden. Fortan wurde das gesellschaftliche Klima immer aufgeheizter, der Gedanke des Ausgleichs unterschiedlicher Interessen fand kein Gehör mehr.

Die UP konnte ihren Stimmenanteil auf knapp 44 Prozent steigern, der bürgerliche Block erreichte 55 Prozent und verfehlte damit die für eine Entmachtung Allendes durch den Kongress notwendige Mehrheit von 60 Prozent. Der gewachsene Stimmenanteil der UP zeigte, dass das Bedürfnis nach grundlegenden sozialen Veränderungen immer klarer von der Bevölkerung artikuliert wurde. Allende und seine UP waren dabei, die gefühlte soziale Mehrheit zu einer Mehrheitsfähigkeit im Parlament zu verwandeln.

In der Folge kam es zu einem Strategiewechsel des bürgerlichen Lagers und ihrer US-amerikanischen Unterstützer, die mit Dollar-Millionen und vielen eingeschleusten Mitarbeitern ihres Geheimdienstes CIA kräftig mitmischten. Das Ziel war nun, eine so chaotische Situation im Land zu schaffen, dass es unregierbar werde und ein Militärputsch gegen Allende herbeiführbar und gerechtfertigt wäre. Besonders explosiv wurde die Stimmung im Kongress beim Thema Enteignungen. Die Mehrheit brachte einen Gesetzentwurf auf den Weg, der alle bisherigen Enteignungen der Regierung für nichtig erklärte, gleichzeitig wurde dem Präsidenten mit einfacher Mehrheit sein in der Verfassung festgesetztes Vetorecht gegen Beschlüsse des Kongresses entzogen. Das alles war offener Verfassungsbruch und ein »kalter« Putschversuch.

Der 27. April 1973 war ein Tag, der viele Illusionen über den demokratischen Charakter des bürgerlich-kapitalistischen Systems zerstörte. Eine Demonstration der »Einheitszentrale der Arbeiter« (Central Unitaria de Trabajadores de Chile, CUT) in Santiago führte an der Zentrale der Christdemokraten vorbei. Vom Dach dieses Gebäudes wurden plötzlich Schüsse in die Menge abgefeuert, es gab einen Toten und sechs Verletzte. Ein Verbrechen, das nicht einmal eine entschiedene Verurteilung seitens der christdemokratischen Parteiführung nach sich zog. Der zuständige Staatsanwalt verschleppte die Ermittlungen, die Täter und ihre Hintermänner wurden nie verurteilt. Im Zweifel stand also auch die Justiz auf der Seite der Besitzenden.

In dieser Phase der starken Konfrontation zwischen beiden politischen Lagern kam den Inhabern der bewaffneten Macht eine Schlüsselrolle zu. Allende und viele Anhänger hingen jedoch der Illusion an, dass die Armee immer auf seiten des Volkes stehen und die Verfassung schützen würde. Aber die Signale für eine grundsätzliche Kehrtwendung der Armeeführung mehrten sich. Am 28. Mai 1973 wurde ein offener Brief von pensionierten Generälen an Allende veröffentlicht. Darin betonten sie die Autonomie der Armee, für den Fall, dass die Regierung die Verfassung verletzen würde.

Am 29. Juni 1973 um neun Uhr steuerte ein Panzerregiment – 16 Panzer mit Transportfahrzeugen – direkt auf den Präsidentenpalast La Moneda zu. Es kam zu einem längeren Schusswechsel mit der Präsidentengarde, die entschlossen Widerstand leistete. 20 Menschen kamen dabei ums Leben, aber es wurde schnell klar, dass die Mehrheit der Armeeführung diese Aktion nicht unterstützen würde. Der Putschversuch scheiterte auch deshalb, weil der Oberkommandierende der Armee, General Carlos Prats, entschlossen handelte und die Schaffung eines Belagerungsrings um den Moneda-Palast anordnete. Die eingekreisten Putschisten gaben auf.

Trotz dieses mehr als deutlichen Warnsignals blieb Allende bei seiner Haltung. Vorrang hatte weiterhin der verfassungsgemäße, legalistische Weg. Noch einmal machte er den Versuch, einen Minimalkonsens mit den Christdemokraten herzustellen. Sie verhandelten auch wieder mit Allende, allerdings ohne ernste Absichten, wie sich herausstellte.

Jenseits der Illusionen

Am 22. Juli ermordeten Faschisten Allendes Verbindungsmann zum Militär, den Marineadjutanten Major Arturo Araya, Koordinator des verfassungstreuen Flügels der Armee, der auch Einblick hatte in hochbrisante Interna. Allende sollte nicht vorzeitig von den Putschvorbereitungen erfahren. Ende Juli begannen die Transportunternehmer abermals einen Streik, der die Versorgungsprobleme der Wirtschaft erheblich verschärfte. Die Rohstoffvorräte in den Betrieben gingen zur Neige, ebenso das Saatgut. Auch hier gab es für die Spediteure umfangreiche finanzielle Unterstützung durch die CIA. Als Reaktion auf diese Zuspitzung bildete Allende am 9. August ein ziviles Militärkabinett, machte also noch mehr Generäle zu Ministern.

Die Arbeiter verstärkten unterdessen ihre Selbstorganisation, die Direktversorgung verbesserte sich durch die Einrichtung sogenannter Volksläden. Die zentrale Frage innerhalb der Unidad Popular und den Arbeiterselbstorganisationen war, wie man dem drohenden Putsch wirkungsvoll begegnen könne. Ein großes Problem war die fehlende einheitliche Organisation, die Zersplitterung in Parallel­organisationen. Es fehlte der gemeinsame Plan unter einer einzigen Führung.

Am 22.8. verabschiedete die bürgerliche Mehrheit des Kongresses eine Resolution, in der der Regierung eine Verletzung der Verfassung vorgeworfen wurde. Dieses an Absurdität nicht zu überbietende Dokument war die offizielle Legitimation für den Staatsstreich.

Das offensichtlich gute und enger werdende Verhältnis zwischen Allende und General Prats war für viele seiner Armeekollegen ein Ärgernis, sah man sich doch ideologisch auf der anderen Seite. Prats bemerkte natürlich die oppositionelle Haltung seiner Kollegen, die offenkundig wurde, als am 22. August die Frauen der meisten Generäle und Offiziere vor seinem Haus protestierten. Nach diesem Eklat trat Prats am 23. August – vielleicht dem letzten Tag, an dem man das drohende Unheil noch hätte aufhalten können – von seinen Posten als Oberkommandierender und Verteidigungsminister zurück. Nachfolger als Armeechef wurde General Augusto Pinochet, damals nach allgemeiner Einschätzung noch ein Parteigänger von Prats. Nach seinem Amtsantritt waren jedoch die Würfel gefallen. Das CIA-Büro in Santiago meldete zufrieden seiner Zentrale: »Das Heer steht geschlossen hinter einem Putsch.«

Am 4. September 1973 erlebte die Hauptstadt Santiago die größte Demonstration ihrer Geschichte. 800.000 Unterstützer von Allende feierten ihren Präsidenten, ein eindrucksvoller Beweis der ungebrochenen Stärke und Vitalität der Unidad Popular und der Arbeiterselbstorganisationen. Allende wollte dennoch weiter deeskalieren und eine Abstimmung über seine Präsidentschaft durchführen, die er am 11. September offiziell ankündigen wollte. Doch die Armee stand schon bereit. Am nämlichen Tag um 7.30 Uhr wurden die verfassungstreuen Offiziere ausgeschaltet, keine Stunde später erfolgte die öffentliche Aufforderung an Allende, zurückzutreten. Die Putschisten forderten die kampflose Übergabe des Präsidentensitzes und boten Allende an, dass er ins Exil gehen könne.

Um 9.15 Uhr hielt Allende – mittlerweile im Moneda-Palast eingetroffen – eine Ansprache an das Volk, in der er betonte: »Ich gebe nicht auf.« Die Präsidentengarde verließ die Moneda, nur 40 Personen bleiben zurück. Allende machte weiterhin keine Konzessionen. Daraufhin erfolgte die Bombardierung des Präsidentenpalastes. Gegen 14 Uhr begannen die Putschisten, das Gebäude zu stürmen, kurz darauf starb Salvador Allende, höchstwahrscheinlich durch Suizid.