Fleischbetriebe als »Hotspots« der Coronapandemie: Politischer Druck auf Branche steigt
Von Claudia Wangerin
Angesichts der hohen Zahl von infizierten Arbeitern der Fleischindustrie steigt in der Coronakrise der politische Druck auf die Branche, die bisher hauptsächlich wegen des Tierleids in der Kritik stand. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) forderte am Montag strengere Arbeitsschutzgesetze: Die Betreiber müssten insbesondere mehr Verantwortung für ihre Werkvertragsarbeiter übernehmen, sagte er am Montag im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die flächendeckende Arbeit mit Subunternehmen sei ihm seit Jahren »ein Dorn im Auge«. Den Vorwurf mangelnder Kontrolle wies er aber zurück.
Nordrhein-Westfalen hatte am Freitag als erstes Bundesland den Notfallmechanismus für den Fall einer Häufung von Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Kraft gesetzt. Im Landkreis Coesfeld wurden die geplanten Lockerungen der Eindämmungsregeln am Montag vorerst für eine Woche verschoben. Anlass waren mehr als 249 Infektionen bei Arbeitern eines Schlachthofs der Firma Westfleisch in Coesfeld. Die meisten Betroffenen stammen aus Osteuropa.
Die Arbeitsmigrantinnen und -migranten seien meist zu mehreren in einem Zimmer untergebracht, schilderte der katholische Sozialpfarrer Peter Kossen laut einem Bericht der Pressestelle des Bistums Münster am Samstag die Lebensbedingungen. Die Räume seien nicht selten eher »verschimmelte Bruchbuden«. Kossen hatte bereits mit Mundschutz und einem Schild mit der Aufschrift »Moderne Sklaverei beenden« vor dem Werkstor protestiert.
NRW-Gesundheitsminister Laumann sagte am Montag, er wolle »keine Vorverurteilung« betreiben – aus Coesfeld sei aber bekannt, »dass dieser Schlachthof mit Sicherheit die Hygienestandards, die in der jetzigen Zeit notwendig sind, nicht ernst genug genommen hat«. Generell sei problematisch, »wie wir Schlachthöfe organisieren und wie die Schlachtwirtschaft sich selber organisiert hat«, räumte Laumann ein. Der betroffenene Betrieb in Coesfeld bleibt voerst geschlossen – das Verwaltungsgericht Münster lehnte zum Wochenende einen Eilantrag der Firma Westfleisch dagegen ab. Der Kreis hatte angeordnet, den Betrieb bis zum 18. Mai zu schließen.
Landesweit sollen nun alle Mitarbeiter von Schlachthöfen bis Ende der Woche getestet werden, kündigte Laumann im Deutschlandfunk an. Dies betrifft insgesamt rund 20.000 Menschen.
Im April war bereits in Baden-Württemberg das Fleischwarenwerk in Birkenfeld mit rund 200 infizierten rumänischen Arbeitern zu einem »Hotspot« der Epedemie geworden. Aktuell sind Beschäftigte weiterer Schlachthöfe in Oer-Erkenschwick in NRW sowie Bad Bramstedt in Schleswig-Holstein betroffen.
»Die Arbeitgeber lagern nicht nur die Arbeit, sondern auch jede Verantwortung bequem an Subunternehmen aus«, hatte am Samstag Freddy Adjan, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) erklärt. »Das System ist krank: Werkverträge für die Kernaufgabe eines Unternehmens zu vergeben, muss verboten werden«, so Adjan. Die Coronafälle seien ein »trauriges Resultat des extremen Preisdrucks beim Fleisch«, befand der Gewerkschafter.