Osterakademie 2018 – Ein Erfolg mit Abstrichen

Ende März/Anfang April haben wir als Bündnis Marxismus und Tierbefreiung die Osterakademie (OAK) 2018 in Hamburg ausgerichtet. Die eineinhalb Tage mit zwei Podiumsdiskussionen, sechs Workshops und Kulturprogramm standen unter dem Motto „Die Zukunft der Bewegung. Tierbefreiung zwischen Opposition und Affirmation“.

Osterakademie Marxismus und Tierbefreiung

Den Anlass, die OAK zu initiieren, bildeten drei gesellschaftliche und politische Entwicklungen, die sich unserer Meinung nach in den letzten Jahren zu zentralen Herausforderungen für unser zukünftiges politisches Handeln als Bewegung verdichtet haben. Erstens befindet sich die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung politisch, strategisch und organisatorisch in einer Sackgasse, während die ökonomischen Profite und der Einfluss unseres Gegners, der Tierausbeutungsindustrie, zunehmend wächst. Zweitens sehen wir uns damit konfrontiert, dass die Akzeptanz des veganen Lebensstils steigt, gleichzeitig aber oppositionelle Politik der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung paralysiert wird. Schließlich erodiert das ohnehin brüchige inhaltliche und politisch-strategische Fundament der Bewegung. Ziel der OAK war es, diese Probleme gemeinsam und gegebenenfalls auch kontrovers zu diskutieren und mögliche Auswege zu erörtern.

Die zahlreichen Anmeldungen, die sowohl die Kapazitäten der Infrastruktur als auch unsere eigenen Erwartungen im Vorfeld deutlich übertroffen haben, sprechen dafür, dass es ein großes Interesse an den Themen gab, die wir mit der OAK gesetzt haben. Viele AktivistInnen hatten und haben Diskussionsbedarf. Unserem Eindruck zufolge repräsentierten die TeilnehmerInnen einen Querschnitt der Bewegung und der in ihr vertretenen Positionen. Das ist natürlich erfreulich und ein kleiner bewegungspolitischer Erfolg. Daraus leitet sich allerdings nicht unmittelbar die Möglichkeit einer gemeinsamen Politik ab.

„Anything goes“ statt kollektiver Strategie – Kontroverse über Form, nicht über Inhalt
Die OAK wurde am Karfreitag mit einer Podiumsdiskussion zu der Frage „Ethisch, herrschaftskritisch, marxistisch – auf welcher Grundlage für die Befreiung der Tiere kämpfen?“ eröffnet. Die Journalistin und Autorin Hilal Sezgin, der österreichische Aktivist und Autor Christof Mackinger, der Präsident des Schweizer Vereins tier-im-fokus (tif) Tobias Sennhauser und unser Bündnismitglied John Lütten sollten darüber debattieren, welcher theoretische Zugang der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung das beste Werkzeug dafür bietet, die Ausbeutung der Tiere in der bürgerlichen Gesellschaft zu erklären und auf dieser Grundlage eine angemessene Praxis zu entwickeln: die bürgerliche Moralphilosophie, die poststrukturalistische Herrschaftskritik, der Marxismus?

Allerdings fand eine politische Debatte nur sehr begrenzt statt. An die Stelle einer inhaltlichen Diskussion auf Basis der verschiedenen Positionen trat eine – mitunter leider vom Podium und aus dem Publikum mit antikommunistischen Ressentiments und Polemiken befeuerte – Kontroverse über die Form: Pluralismus – ja oder nein? Die Hinweise aus unseren Reihen, dass diese Frage unter Abstraktion vom Inhalt nicht beantwortet werden könne und dass die inhaltliche Beliebigkeit – missverstanden als Pluralismus – eine Facette des Bewegungsniedergangs bilde, weil sie keine gemeinsame Strategie zulasse, wurden in teils aufgeheizter Atmosphäre leider übergangen.

Kritik, Selbstkritik und Orientierung für die Zukunft der Bewegung
Am Ostersamstag wurde die Akademie mit drei aufeinander folgenden Workshop-Phasen fortgesetzt. In jedem Slot gab es zwei Seminare, von denen wir jeweils eines für „Bewegungsneulinge“ und eines für erfahrenere AktivistInnen konzipiert hatten.

Im ersten einführenden Workshop wurde unter Bezugnahme auf unser Thesenpapier „Marxismus und Tierbefreiung“ die Frage, ob Tierbefreiung ein genuin linkes Projekt sein müsse, positiv beantwortet. Der Grund ist folgender: Die Ausbeutung der Tiere geht heute letztlich auf die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse zurück, an denen die Tiere nicht als Subjekte beteiligt sind. Sie gehen als Privateigentum der Kapitalistenklasse in die Produktion ein und werden von ihr als natürliche Produktionsmittel genutzt – mit dem Zweck, Profit zu akkumulieren. Mit dem gleichen Ziel werden die ArbeiterInnen ausgebeutet, wenn auch qualitativ anders. Sollen die Tiere und die Lohnabhängigen aus diesem Ausbeutungsverhältnis befreit werden, muss entsprechend die Eigentumsfrage gestellt werden. Mit den in der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung dominanten rechtsphilosophischen und postmodernen Ansätzen lässt sich dieser Zusammenhang nicht auf den Begriff bringen. In der Diskussion unserer Thesen zeigte sich allerdings, dass das liberale theoretische Erbe der Zeit nach 1990/91 schwer wiegt. Tierausbeutung wurde in einzelnen Redebeiträgen aus dem Publikum in erster Linie als Fehlverhalten einzelner Individuen, unter anderem von Jägern oder Fischern, und nicht als gesellschaftliche Beziehung begriffen. Dementsprechend wurde auch die Aufklärung von Individuen über den Veganismus als zentraler Ansatzpunkt für Veränderung verteidigt, bedauerlicherweise zumeist ohne auf die zuvor dargelegten Argumente einzugehen.

Im ersten weiterführenden Workshop „Die Fleisch-Hegemonie und der politisch-kulturelle Arm des deutschen Fleisch-Kapitals“ ging es im Anschluss an die politische Theorie des italienischen Marxisten Antonio Gramsci darum, wie die FleischkapitalistInnen in der Zivilgesellschaft die Zustimmung der subalternen Klassen für den Fleischkonsum sowie ihre eigene ideologische Einheit herstellen. Primär gelinge dies über die Arbeit ihrer Vorfeldorganisationen (der UnternehmerInnenverbände VDF, BVDF und DFV), die Branchenmedien (Allgemeine Fleischerzeitung und Fleischwirtschaft) sowie über wissenschaftliche Institute, die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft finanziert werden. Allerdings fokussierte dieses Seminar nicht nur darauf, Akteure und Strukturen offenzulegen, sondern auch politische und kulturelle Ansatzpunkte für eine eigene Strategie gegen die Tierausbeutung in der Fleischindustrie zu diskutieren.

Im einführenden Teil der zweiten Workshop-Phase „Alles für die Tiere? Über den Unterschied zwischen Tierschutz, Tierrechten und Tierbefreiung und den Irrtum, Tiere durch Rechte zu befreien“ haben die Referenten nachgezeichnet, warum sich die Tierrechts- aus der Tierschutzbewegung entwickelt hat und aus welchen Gründen sich die Tierbefreiungs- von der Tierrechtsbewegung abgrenzt. Am Beispiel von Will Kymlickas und Sue Donaldsons politischem Zugang zu Tierrechten wurde aufgezeigt, dass die Kritik liberaler Rechtstheorien weiterhin notwendig ist. Kymlicka und Donaldson hinterfragen nicht den bürgerlichen Staat bzw. dessen Rechtsnormen, die Teil der Tierausbeutungsstrukturen sind, sondern heißen sie gut und wollen, dass Tiere in die geltenden politischen und juristischen Verhältnisse inkludiert werden. Die Diskussion im Anschluss an den Vortrag drehte sich vor allem um den Widerspruch zwischen Tierrechts- und Tierbefreiungsstrategien. Dabei wurde zweierlei deutlich. Erstens ist die klassische anarchistisch-autonome Staats- und Rechtskritik, die in den 1990er-Jahren, wenn auch theoretisch unausgereift, das Bewusstsein der AktivistInnen prägte, pragmatischeren Positionen gewichen. Zweitens scheint das kritische Bewusstsein der TierbefreierInnen gegenüber Tierrechtspositionen insgesamt rückläufig zu sein.

In der kritisch-philosophisch gehaltenen Analyse „Vergessenes Leiden. Anästhesierung und Instrumentalisierung des Mitgefühls in der hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Kulturindustrie“ demonstrierte die Referentin, wie das reale Leiden der Tiere durch die Kulturindustrie überdeckt wird. Während man im Kino über das Leiden Bambis weinen oder vom niedlichen Disney-Tierchen berührt sein darf, werden im Alltagsleben, etwa durch Reklame, antagonistische Lebensbereiche in Einklang gebracht. Hinter der Werbung mit vor Glück strotzendem süßen Küken oder Kälbchen verschwinden die Befreiungsobjekte und deren himmelschreiende Not. Der Workshop lieferte die theoretischen Grundlagen für eine Analyse des Problems, dass das Mitleid mit den gequälten Kreaturen, politische Bildung und kollektive Intervention ersetzt werden durch systemkonforme (Sub-)Kultur, für Profite instrumentalisiertes Mitgefühl und verdinglichtes Bewusstsein.

Der Workshop „Vegan for Profit. Wie der Veganismus entpolitisiert und kommerzialisiert wird – und was die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung dazu beiträgt“ knüpfte an die vorangegangenen theoretischen Ausführungen über die Kulturindustrie an – und erregte im letzten Seminarslot die Gemüter. Nachdem der Lifestyle-Veganismus hier für seine Individualisierung sozialer Probleme, die Konsumfokussierung und Kommerzialisierung des Veganismus à la Hildmann und Veganz als Bedrohung für die Bewegung zur Befreiung der Tiere kritisiert wurde, entbrannte eine Debatte über Chancen und Grenzen, die Gesellschaft durch veganen Konsum zu verändern. Ein kleinerer Teil des Publikums redete dabei dem Lifestyle-Veganismus das Wort – er müsse nur sexy, attraktiver und zugänglich sein, dann klappe es auch mit der Befreiung der Tiere. Andere wiederum bestätigten, dass die Tierbefreiungsbewegung es versäumt habe, angemessen auf die Vereinnahmungsversuche der KommerzveganerInnen zu reagieren.

Im letzten Seminar bildeten „Antimarxistische Vorurteile und Marx’ antispeziesistischer Arbeitsbegriff“ den Gegenstand. Im theoretisch ausgerichteten Vortrag widerlegte der Referent die in der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung und vor allem in den Human-Animal Studies populären Vorstellungen, Marx gestehe nur den Menschen zu, dass sie arbeiteten und Werte schafften. Diese Auffassungen sind aber weder mit Marx’ entwicklungstheoretischem Verständnis der Natur- und Menschengeschichte noch mit seiner Gesellschaftstheorie vereinbar. Vielmehr arbeiten Tierkollektive Marx zufolge ebenfalls, auch wenn sich ihre Form der Arbeit von der menschlichen unterscheidet. Gleichzeitig ist im Kapitalismus bei Weitem nicht einmal alle menschliche Arbeit wertschaffend. Letzteres ist aber ebenso wenig Marx anzulasten wie die Tatsache, dass Tiere in kapitalistischen Gesellschaften keine Werte generieren. Beides ist das Resultat der kapitalistischen Produktions- und Zirkulationsverhältnisse.

Insgesamt waren alle Workshops gut besucht und es wurde offen miteinander gestritten. Allerdings kann auch konstatiert werden, dass die Positionen, z.B. über die Ursachen der Tierausbeutung und die entsprechend möglichen und notwendigen Strategien der Veränderung, teils sehr weit auseinanderlagen. Deutlich wurde ebenfalls, dass die gesellschaftskritische Substanz der Debatten seit den 1990er-Jahren abgenommen hat bzw. dass es keinen gesellschaftskritischen Konsens in der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung (mehr) gibt. Vor dem Hintergrund der Diskussionen über Kulturindustriekritik oder der Ausführungen zur Fleisch-Hegemonie des Kapitals stellt sich die Frage neu, wie eine wirksame Gegenkultur für die Befreiung der Tiere in Zeiten von Hildmann, Selbstoptimierungswahn und veganen Hochglanzmagazinen aussehen könnte. Die OAK hat aber leider auch gezeigt, dass es offenbar nur wenig Interesse gibt, über politische Bewegungsstrategien – anstatt über individuelle Vorlieben und Bedürfnisse in politischer Arbeit – zu reflektieren und zu debattieren.

Offensive gegen die Fleischindustrie? Ja, aber …
Dieses Manko konnte auch die abendliche, zweite Podiumsdiskussion zum Thema „Die Organisationsfrage stellen: Viele Kleingruppen und zig Kampagnen oder gemeinsam gegen die Fleischindustrie?“ nicht wettmachen. Die DiskutantInnen Sebastian Schubert (Tierbefreiung Hamburg), Karl-Caspar Linde (Kampagne gegen Tierfabriken, Netzwerk Animal Climate Action) Tom Zimmermann (Tierbefreiungsarchiv/Tierbefreier e.V.) und Christin Bernhold (Bündnis Marxismus und Tierbefreiung) monierten zwar einträchtig das Fehlen eines strategischen Projekts der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung und die organisatorische Vereinzelung in der politischen Arbeit. Sie signalisierten auch allesamt Interesse an einer Offensive gegen die Fleischindustrie (OGFI). In einem Wortbeitrag aus dem Publikum sagte ein langjähriger Aktivist sogar, dass dies möglicherweise „die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt“ sei. Dennoch äußerten sich die DiskutantInnen bezüglich der praktischen Umsetzbarkeit und der – von unserem Bündnis vorgeschlagenen – antikapitalistischen Ausrichtung eines bundesweit organisierten Projekts zurückhaltend. Bislang ist der Aufbau einer schlagkräftigen Opposition gegen das Fleischkapital entsprechend lediglich eine Idee.

Gegenkultur und Solidarität mit den politischen Gefangenen
Den Abschluss der OAK 2018 läuteten die langjährige musikalische Stimme der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung MC Albino und sein Partner in Arts Master Al ein. Sie präsentierten nicht nur ihr gemeinsames neues Album „Deus Ex Machina“. Albino trug auch seinen eigens für die OAK aufgenommenen Track „Respekt“ vor, in dem er im Geiste Herbert Marcuses darauf hinweist, dass Toleranz bedeutet, die Schlachthofgesellschaft nicht zu tolerieren, und fordert, das System zu stürzen, das aus allem nur Geld macht. Im Anschluss gaben King Veganismus One & Dr. Alsan eine Auswahl ihres satirischen Mix-Tapes „VEGAN JIHAD“ und neuerer Songs zum Besten.

Das gegenkulturelle Abendprogramm fand nicht nur aufgrund der passenden Musik großen Anklang. Die KünstlerInnen sorgten auch mit dafür, dass alle OAK-TeilnehmerInnen ihre Solidarität mit Sven van Hasselt – dem niederländischen Tierbefreiungsaktivisten, der wegen seines Protests gegen das Tierversuchslabor Huntingdon Life Sciences/Envigo im Januar zu fünf Jahren Haft verurteilt worden ist – mit einem gemeinsamen Foto zum Ausdruck brachten. Damit wurde der OAK ein würdiger Schlusspunkt gesetzt.

Bündnis Marxismus und Tierbefreiung

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