Über Ostern veranstaltet ihr in Hamburg eine «Akademie» über die Zukunft der Tierbefreiungsbewegung. Zuerst einmal: Wer seid ihr bzw. was ist das Bündnis Marxismus und Tierbefreiung und was sind eure Anliegen?
Wir sind ein Zusammenschluss von Organisationen und Einzelpersonen aus der Schweiz und aus Deutschland, die in der Tierbefreiungsbewegung und in der marxistischen Linken aktiv sind. Unser gemeinsamer Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass die Ausbeutung und Unterdrückung von Tieren und der arbeitenden Klasse abgeschafft und die Zerstörung der Natur beendet werden müssen. Wir sehen die marxistische Gesellschaftstheorie und -kritik als geeignetes Instrument, um die Ursachen für diese Ausbeutung und Zerstörung zu verstehen und Lösungsstrategien zu entwickeln.
Es geht bei der Osterakademie um die Zukunft der Bewegung. Ihr wollt der Bewegung eine Richtung geben. Fehlt ihr die Richtung oder geht sie in die falsche?
Die politische Wirkung von vereinzelten Protesten gegen verschiedene Formen der Tierausbeutung sind angesichts der Stärke der expandierenden Fleisch- und anderer tiernutzender Industrien nicht wirkmächtig genug. Es fehlt an Strategiedebatten darüber, wie man wieder mehr Schlagkraft bekommen könnte. Hinzu kommt, dass der Neoliberalismus bestimmte Forderungen, wie die nach Veganismus, längst integrieren und vermarkten kann. Kritik der Bewegung an diesem Phänomen bleibt weitgehend aus und man wiegt sich teilweise sogar in der Illusion, die Fleischindustrie schwächele wegen des Vegan-Booms. Dem ist natürlich nicht so, vielmehr ist sie bestrebt, selber davon zu profitieren. Wir wollen all diese Probleme auf den Tisch bringen und politische Perspektiven entwickeln. Dabei stellen wir zur Debatte, ob es an der Zeit ist, eine gemeinsame Kampagne gegen die Fleischindustrie auf die Beine zu stellen.
Hat die Tierrechtsbewegung, die ja nicht sehr homogen ist, überhaupt eine gemeinsame Zukunft?
Auch wenn sie in einen Topf geworfen werden, unterscheiden sich die Tierschutz-, Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung voneinander anhand ihrer Theorien, Praxis, Strategien und Ziele. Das kennt man genauso von anderen Bewegungen – bürgerlicher und linksliberaler Feminismus unterscheidet sich ja auch von einem proletarischen. Eine unserer Aufgaben sehen wir darin, einerseits die Errungenschaften der einzelnen Strömungen hervorzuheben, andererseits aber auch ihre Fehler zu benennen. Dies haben wir in unserem Thesenpapier gemacht. Dabei zeigen wir auf, dass nur der Marxismus die Ausbeutung der Tiere erklären kann. Ihre Befreiung ist nur durch die Überwindung des Kapitalismus möglich. Deshalb sehen wir eine gemeinsame Zukunft der Bewegung nur in Opposition zum Kapitalismus.
Ihr fordert, dass die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung revolutionäre Realpolitik betreiben soll. Was meint ihr damit?
Den Begriff der revolutionären Realpolitik entlehnen wir einer Kommunistin, welche die barbarischen Gräuel gegen Mensch, Tier und Natur zutiefst ablehnte: Rosa Luxemburg. Sie grenzte sich damit vom Reformismus ab, einer Spielart der bürgerlichen Politik, welche bloss die Abhandlung tagespolitischer Fragen auf dem Zettel hat, ohne eine Strategie zur Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft zu entwickeln. Revolutionäre Realpolitik besteht darin, dass politische Teilbestrebungen und Reformen vom Standpunkt der Unterdrückten und Ausgebeuteten und in Bezug auf die Verwirklichung des Sozialismus erkämpft und betrachtet werden müssen. Linke Opposition darf Reform und Revolution nicht als ausschliessende Momente gegenüberstellen, sondern muss die politischen Fragen im Hier und Jetzt mit der Perspektive der Überwindung des Kapitalismus verbinden, wobei letzteres in diesem Verhältnis als das entscheidende Moment zu bestimmen ist. Nur so können wir Erfolge erringen und gleichzeitig die Möglichkeiten für die Befreiung von Mensch und Tier verbessern.
Ihr schreibt, dass TierrechtlerInnen bisher von politischen Parteien eher als «nützliche IdiotInnen» statt als ernsthafte BündnispartnerInnen betrachtet wurden. Wie ist das gemeint?
Aus Deutschland kennen wir das Phänomen, dass Parteien für WählerInnenstimmen der TierfreundInnen gerne mit „Tierwohl-Anliegen“ werben, doch politische Initiativen und Aktionen gegen Tierausbeutung nicht geschlossen unterstützen. Dabei hätten linke Organisationen, Gewerkschaften und Parteien allen Grund, sich zum Beispiel den Kampf gegen die Fleischindustrie auf die politische Agenda zu schreiben und Bündnisse mit der Tierbefreiungsbewegung einzugehen. Denn die Fleischindustrie schlachtet nicht nur Millionen von Tieren. Um Profite zu maximieren, muss auch die Ausbeutung der Arbeiter in den Fleischfabriken stets gesteigert werden. Intensivierung der Arbeitsprozesse und die Zunahme von Temporärarbeit sind Teil der Businesspläne der FleischunternehmerInnen. Zudem wird die Natur für die Fleischproduktion schonungslos geplündert und zerstört. Dies sind alles Missstände, an deren Aufhebung auch Linke ein grosses Interesse haben müssen. Die Fleischindustrie ist eine starke Gegnerin. Deshalb brauchen wir auch starke Bündnisse zwischen der Tierbefreiungsbewegung und anderen linken Organisationen. In unserer politischen Arbeit in der Schweiz haben wir vor allem mit der ausserparlamentarischen Linken leider die Erfahrung gemacht, dass die Anliegen der Tierbefreiungsbewegung nicht erst genommen werden. AktivistInnen sollen sich zwar an Aktionen und revolutionären Bündnissen beteiligen, doch von ihrem „Tierfimmel“ will man nichts wissen.