Für seine Zeitung hat der Revolutionäre Aufbau die Tierrechtsgruppe Zürich zum Interview gebeten. Erschienen ist dieses in der Nummer 91 von Januar/Februar 2018 unter dem Titel „Ökologie: Über das richtige Leben im Falschen“. Die Tierrechtsgruppe Zürich spricht dabei nicht nur über die Wichtigkeit des Marxismus auf dem Weg zur Befreiung der Tiere und der Überwindung aller Ausbeutungsverhältnisse, sondern bezieht auch Position zu der Rolle der Moral im Klassenkampf, zum Thema Ökologie und dazu, warum der Veganismus mit dem Klassenkampf von unten einhergehen muss.
Beginnen wir bei Grundlegendem: Der Rahmen eurer politischen Arbeit zu Tierbefreiung bildet der Marxismus. Könnt ihr die marxistische Perspektive, wie ihr sie in eurer Politik entwickelt, genauer ausführen?
Marx und Engels wollten Ausbeutung und Unterdrückung abschaffen, weshalb sie sich damit beschäftigten, welche Verhältnisse die Menschen in ihrer Geschichte zueinander und zur Natur eingehen. Die von den beiden entwickelte materialistische Geschichtsauffassung zeigt auf, dass sowohl die gesellschaftlichen Beziehungen und Einrichtungen (z.B. Lohnarbeit oder der Staat) als auch die Beziehung der Menschen zur Natur nicht gott- oder naturgegeben sind. Vielmehr sind diese Verhältnisse Resultat der menschlichen Praxis und nehmen in den verschiedenen geschichtlichen Epochen unterschiedliche Formen an, welche durch den Klassenkampf geprägt sind.
Dies gilt natürlich auch bezüglich der Stellung der Tiere in der gegenwärtigen Gesellschaft. Der barbarische Umgang mit Tieren in den Schlachtfabriken oder auf Pelzfarmen beruht nicht auf einer unveränderlichen Schöpfungs- oder Naturordnung. Er entspricht den kapitalistischen Produktions- und Klassenverhältnissen wie sie von Marx und Engels in ihrer Kritik der politischen Ökonomie analysiert wurden. Kurz gesagt sind die Tiere im Kapitalismus Waren und Produktionsmittel und damit wie die Lohnarbeiter bloss Mittel zum Zweck der Profitproduktion für die Kapitalisten. Zwar bestehen zwischen der Stellung der Tiere und der Stellung des Proletariats im kapitalistischen Produktionsprozess qualitative Unterschiede. Dies ändert jedoch nichts daran, dass nicht nur die Arbeiterklasse, sondern auch die Tiere durch die Bourgeoisie ausgebeutet werden.
Der historische Materialismus und die Kritik der politischen Ökonomie ermöglichen uns eine präzise Analyse der Ausbeutung der Lohnarbeiter und der Tiere in der bürgerlichen Gesellschaft. Zudem bietet der Marxismus uns eine Perspektive für die Abschaffung dieser knechtenden Verhältnisse: der revolutionäre Bruch mit dem Kapitalismus im Klassenkampf. Leider wird von Marxisten häufig ignoriert, dass Tiere Teil der Unterdrückten sind. Marxisten und Tierbefreiungsaktivisten müssen endlich begreifen, dass sie in den Kapitalisten denselben Gegner haben und dass sie sich für ein revolutionäres Projekt zusammentun müssen.
Politische Interventionen zum Thema Tier sind, insbesondere ausserhalb einer linken Tierbefreiungsbewegung, moralisch und emotional stark aufgeladen. Wie gelingt es, Tierbefreiungspolitik fernab moralischer Kategorien zu betreiben?
Zu Beginn des Engagements für Tierbefreiung steht meist die schlichte Erschütterung über das Leid, das den Tieren zugefügt wird. Daraus erwächst das Bedürfnis zu verstehen, warum Tiere millionenfach abgeschlachtet werden und die Frage, was man dagegen tun kann. Teile der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung reduzieren die Antworten darauf auf individuelle Verhaltensweisen und Ansichten, die völlig losgelöst vom Funktionieren der kapitalistischen Produktionsweise betrachtet werden. Dadurch bleibt die Forderung nach einer Befreiung der Tiere moralistisch. Es wird verpasst zu verstehen, unter welchen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen die Ausbeutung der Tiere stattfindet und was entsprechend verändert werden müsste, um sie zu beenden. Ähnliche Fehler werden aber genauso in anderen Themenfeldern der Linken begangen, zum Beispiel in der Frauen- und Geschlechterpolitik, bei der es oft auch hauptsächlich um individuelle Verhaltensweisen und Sprachregelungen geht.
Moralische Appelle an die herrschende Klasse, den Staat oder die Gesellschaft als Ganzes bleiben ohnmächtig und weitestgehend wirkungslos, weil der einzige Zweck der kapitalistischen Produktion die Akkumulation von Kapital ist. Das heisst aber nicht, dass Moral für revolutionäre Politik gar keine Rolle spielt. Auch der Antrieb marxistischer Politik erwächst zunächst aus dem Entsetzen über die grausamen Verhältnisse, von denen man selber betroffen ist oder andere darunter leiden sieht. Man denke nur an miese Arbeitsbedingungen, Kriege oder das Ertrinken von Flüchtlingen im Mittelmeer. Diese unsäglichen Gräuel bewegen uns als Linke dazu, nach ihren Gründen und nach Möglichkeiten zu suchen, die Verhältnisse zum Besseren zu verändern. Die Erkenntnis, dass der Kapitalismus mit innerer Notwendigkeit Leid, Ausbeutung und Unterdrückung produziert, ist die Grundlage revolutionärer Politik. Auch Kommunisten treibt also ein moralischer Impuls an, nur bleiben sie nicht dabei stehen. Es gilt also zwischen bürgerlichem Moralismus und revolutionärer Moral zu differenzieren.
Wie seht ihr die Verschränkung von Kapitalismus und Ökologie?
Durch die Jagd nach bestmöglichen Standorten, neuen Investitionsmöglichkeiten und immer höheren Renditen der konkurrierenden Kapitalisten ist der Wachstumszwang unzertrennlich mit dem Kapitalismus verbunden. Seine rastlose Gier nach Mehrwert untergräbt, wie Marx im Kapital schreibt, die zwei Springquellen des Reichtums: den Arbeiter und die Erde. Die natürlichen Ressourcen sind jedoch nicht unbegrenzt verfügbar und Teile davon auch schon unwiederbringlich zerstört. Dieser Widerspruch zwischen dem unbegrenzten Wachstumszwang einerseits, und der begrenzten Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen andererseits ist dem Kapitalismus inhärent.
Die monoton ansteigende Ausbeutung der Natur und ihrer Ressourcen stellt das Überleben der Menschen, sowie aller anderen Lebewesen auf diesem Planeten aufs Spiel. Doch die Antwort der herrschenden Klasse auf den Klimawandel und die globale Umweltkatastrophe in Form eines „grünen Kapitalismus“ ist eine Farce. Weder haben die Kapitalisten, deren einziges Ziel die Vermehrung des Mehrwerts ist, ein objektives Interesse daran, die Zerstörung der Natur zu beenden, noch kann eine Lösung dieser Probleme durch effizientere Technologien mit dem Wachstum der kapitalistischen Ökonomie Schritt halten. Im Gegenteil, die Herrschenden machen mittlerweile riesige Profite aus der Vermarktung sogenannter nachhaltig hergestellter Produkte und verleiben sich damit sogar noch die Kritik an der Naturzerstörung ein.
Aus diesen Gründen ist es offensichtlich und notwendig, dass sich eine revolutionäre Linke zu diesem Thema verhalten und auch die Befreiung der Natur aus den Klauen der herrschenden Klasse vorantreiben muss.
Von Linken wird immer wieder die Erwartung produziert, dass diese Gutmenschen seien, also Coca-Cola boykottieren und sich nur mit Bio-Wolle einkleiden. Dem steht die Position gegenüber, dass es kein richtiges Leben im Falschen gibt. Wie seht ihr dies im Bezug zur Befreiung der Tiere aber auch zum Erhalt eines ökologischen Gleichgewichts?
Die Probleme, die der Kapitalismus hervorbringt, können nicht durch einen ethischen Konsum gelöst werden. Allerdings wird das Zitat von Theodor W. Adorno, welches ihr anführt, leider oft als Argument dafür missbraucht, Veränderungen im Hier und Jetzt zu vernachlässigen und sich nicht mit individuellen Verhaltensweisen oder zum Beispiel dem Veganismus auseinandersetzen zu müssen. Im Gegenteil gibt es in der Linken vielfach die Tendenz, stumpfen Konsum zu verherrlichen und diesen mit Freiheit gleichzusetzen. Das hat nichts mit Kritischer Theorie zu tun. Einer ihrer Vertreter, Herbert Marcuse, hat zum Beispiel darauf hingewiesen, dass der Kapitalismus auch falsche Bedürfnisse produziert, um Märkte für seine Waren zu schaffen und seine Klassenherrschaft zu stabilisieren. Deshalb muss eine revolutionäre Bewegung immer auch eine entsprechende Gegenkultur entwickeln, statt einfach bürgerliche Kultur zu kopieren und ihr einen subkulturellen Anstrich zu geben. Teil davon muss sein, innerhalb des Kapitalismus Perspektiven für eine andere Lebensweise zu erkämpfen. Das machen wir ja zum Beispiel auch in Bezug auf Sexismus und Rassismus. Dazu gehört auch der Veganismus. Indem man Fleisch isst, verleibt man sich Teile eines anderen Individuums ein und beteiligt sich damit an der Ausbeutung und Herrschaft über andere Lebewesen.
Natürlich ist der Veganismus in den letzten Jahren zu einem rasant wachsenden Markt geworden. Viele Unternehmen, darunter auch Firmen aus der Fleischindustrie, verdienen sich eine goldene Nase mit veganen Produkten. Das ist jedoch nicht die Schuld des Veganismus. Der Kapitalismus besitzt die Fähigkeit, fortschrittliche und subversive Forderungen um ihren kritischen Gehalt zu bringen, zu integrieren und zu Geld zu machen. Daher darf der Veganismus nicht dem Bürgertum überlassen werden, sondern muss mit dem Klassenkampf von unten einhergehen.
Obwohl sich durch veganen Konsum die Probleme im Kapitalismus nicht lösen lassen, ist es nicht zu verleugnen, dass die Tierproduktion nach dem heutigen Stand der Produktivkräfte nicht nur unnötig, sondern irrational und antifortschrittlich ist. Sie verbraucht ein Vielfaches an Ressourcen und verursacht gravierende ökologische Schäden sowie unermessliches Leid. Der Kampf für eine ökologische und sozialistische Gesellschaft muss deshalb auch eine vegane Lebensmittelproduktion anstreben.