Quelle: http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0028.html
Susann Witt-Stahl ist Chefredakteurin des Musikmagazins Melodie und Rhythmus (M&R).
Ein Gespräch über kritischen Musikjournalismus in ideologisch angespannter Zeit.
Schattenblick: Wenn ihr euch an ein linkes Publikum wendet, seid ihr auch mit den innerlinken Kämpfen und Kontroversen konfrontiert. Du hast vor kurzem einen Beitrag in der jungen Welt über den Rapper Kaveh geschrieben und damit etwas thematisiert, worüber in der deutschen Hip-Hop-Szene eine heftige ideologische Auseinandersetzung geführt wird. In einem bürgerlichen Magazin würde man lieber die Finger davon lassen, aus Furcht, einen Teil der Leserschaft verlieren zu können. Wie weit würdet ihr in einer solchen Auseinandersetzung gehen, die in diesem Fall über Hip-Hop verhandelt wird?
Susann Witt-Stahl: Da braucht man gar nicht den Konjunktiv zu bemühen, sondern kann es ruhig im Indikativ sagen: Wir sind schon sehr weit gegangen. In den letzten Ausgaben haben wir zum Beispiel neoliberale Tendenzen in der Popmusik offengelegt und „heilige Kühe geschlachtet“, um einmal eine konventionelle Metapher zu bemühen. Wir übten scharfe Kritik an Bands aus der Zeckenrap-Szene, die als linke Ikonen gelten. Das Label „Zeckenrap“ ist längst ein Selbstgänger: Man inszeniert sich als linksradikal und hält sich für subversiv, weil man für Flüchtlinge ist. Das ist aber lange noch kein Merkmal für eine ernst zu nehmende Opposition. Frau Merkel, ihr Vize-Kanzler und Claudia Roth sind auch irgendwie für Flüchtlinge; heute sind alle christlich-sozialen und linksliberalen Bürger für Flüchtlinge, genauso wie sie alle gegen Nazis sind, solange es nicht ans Eingemachte geht. Genau da ist das Problem der Zeckenrap-Szene: Ihre Gesellschaftskritik – von einer Systemkritik müssen wir gar nicht erst reden – setzt nicht dort an, wo es schmerzt: An der Eigentumsfrage, am Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, an den imperialistischen Kriegen und der Naturzerstörung, die Hunderttausende von Menschen das Leben kosten und viele Millionen in das nackte Elend treiben und zu Flüchtlingen machen. Von den Hauptwidersprüchen lassen die meisten Zeckenrapper lieber die Finger. Sie sind eine mittelständische Unternehmung, wollen doch eigentlich nur spielen und daß man sich nicht sexistisch, homophob, rassistisch und antisemitisch verhält und natürlich daß man sich einer politisch korrekten Sprache bedient – bloß keine schmutzigen Worte, die die Welt, so häßlich wie sie für die unteren Klassen dieser Erde ist, reflektieren. Zeckenrapperin Sookee sagte das so schön: „Meine Wohnung ist lila, meine Klamotten sind lila, mein Leben ist lila.“ Solchen Musikern reichen die wenigen emanzipativen Standards, die wir überall in der neoliberalen Gesellschaft finden – auch bei Kriegsparteien wie den Grünen. Selbst die Jungliberalen und große Teile der Jungen Union würden das unterschreiben.
M&R ist meines Wissens das einzige Kulturmagazin in Deutschland, das Kritik an dieser Szene geübt hat. Kein Wunder. Die bürgerlichen Medien sind freilich begeistert von „Zecken“, die nicht beißen. Aber auch M&R hat dieses Phänomen noch gar nicht angemessen ideologiekritisch aufgemischt. Uns geht es allerdings nicht darum zu sagen, daß es solche Popkultur nicht geben soll. Weit mehr als 90 Prozent der Popkultur heute ist kreuzbrav und angepasst – warum dann nicht Zeckenrap?! Wir wollen nur zeigen, daß so was gar nichts mit linksradikal und wenig mit links zu tun hat, dafür aber umso mehr mit einem Marketing, das die Sehnsucht der Middle-Class-Kids nach einem wilden Lebenssommer der Anarchie befriedigt. Nicht wenige Phänomene in der linken Popkultur ventilieren auch antikommunistische Ideologie. In der aktuellen M&R findet sich ein Beitrag mit der Überschrift „Tönende Totalitarismustheorie“, in dem wir eine musikalische Ikone der Antifa-Szene kritisieren. In ihren Stücken findet sich eine popkulturelle Reproduktion der antikollektivistischen Weltanschauung, die in der faschistische Zwangsformationen und revolutionären Massen gleichsetzenden Totalitarismustheorie der Architekten des Neoliberalismus angelegt ist. Die Band nennt sich „Egotronic“ – nomen est omen. Auch in Interviews stellen die Frontleute der Band im Prinzip alles Kollektivistische mehr oder weniger in die Nazi-Ecke. Kritik in dieser Preisklasse kostet uns natürlich Anzeigenkunden, aber man kann nicht gleichzeitig immer der Kulturindustrie gefallen und ein wahrhaft linkes Magazin sein wollen.
Was wir übrigens nicht machen, ist, das Big-Music-Business und den kommerziellen Mainstream aus dem Magazin nehmen. Wir rezipieren den Markt, und wir haben auch viele sachkundige Autoren, die sehr emphatisch und auch nicht sonderlich kritisch über Popmusik schreiben. Das gefällt mir oft nicht, aber das ist eben auch eine Seite der Medaille. Diese Autoren sollen mit ihren Apologien zu Wort kommen, solange genug freier Raum für qualifizierte Kritik bleibt. Natürlich kann auch ein marxistisches Kulturmagazin die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft nicht lösen – es kann sie nur aufdecken und am Lack der bunten Kulturindustriewelt kratzen. Und dabei dürfen wir nicht verschweigen, daß wir unweigerlich auch immer noch ein Teil davon sind und sein müssen. Würden wir etwas anderes behaupten, machen wir uns zu Komplizen des Betrugs und tun nichts anderes als die Zeckenrapper: Wir machen auf linksradikal, präsentieren eine heile Welt, in der es nur antikapitalistische und andere gute linke Bands gibt und suggerieren, daß wir die Logik und Gesetze des Marktes überwunden hätten und außerhalb des Betriebs stehen, was natürlich unmöglich ist: die Kulturindustrie heute überwölbt die gesamte Kultur der westlichen Welt – sie läßt praktisch kein Außen mehr zu.