Quelle: https://www.jungewelt.de/2015/10-22/008.php
»Antideutsche« sehen rot und drangsalieren linke Musiker
Von Susann Witt-Stahl
Ein Tsunami von Hass und wüsten Drohungen schlägt Kaveh und Thawra entgegen. Auslöser ist ihr Musikvideo »Antideutsche/Tahya Falastin« (Lang lebe Palästina). »Sie finden Panzer geil und IDF und seine Fraun / Der deutsche Staat als Feind interessiert keine Sau«, heißt es darin. »Sie hassen linke Juden und verbieten die Kufiya / Und sie sagen, US-Drohnen ist Antifa.« Gemeint sind zunehmend NATO-patriotische Strömungen in der deutschen Linken, die unter dem Label »Antideutsche« oder »Antinationale« firmieren und oftmals nicht nur die Begeisterung für imperialistische Kriege mit Neokonservativen, neuen Rechten und prowestlichen Neofaschisten teilen.
Obwohl – womöglich sogar weil − Kaveh und Thawra der islamistischen Hamas den Kampf ansagen und nicht grüne, sondern »rote Fahnen über Gaza und Dschenin« wehen sehen wollen, reagierte eine wutschäumende Internetarmada kurz nach Veröffentlichung des Videos mit rassistischen und sexistischen Entgleisungen. Ein Beispiel: Kaveh und Thawra seien »Schlampenbrut mit einem ekelhaften Bastard von Vater«. Andere Nutzer verlangten nach Auftrittsverboten und staatlichen Repressionsmaßnahmen.
Mit an der Spitze der medialen Strafexpedition gegen die Musiker: der Bild- und Ruhrbarone-Schreiber Sebastian Bartoschek. Er titulierte Thawra in einem Audiopodcast-Talk mit einem anonymen Kollegen – der seine Tiraden lieber unter dem Pseudonym »Rioburnz« verbreitet – als »Tinderella«, so der Web-2.0.-Jargon für Nymphomanin, und Kaveh als »Kebab«. Die »hat ein so\’n Kommunisten-Banner aus ihrer Facebook-Seite«, weiß Bartoschek über Thawra zu berichten. »Kann es vielleicht sein, dass die einfach schwachsinnig sind?« fragt »Rioburnz«, für den der aus dem Iran stammende Kaveh natürlich ein »Khomeini« ist: »Ja, Kommunisten …«, so Bartoschek.
Manche anderen möchten sich nicht mit antikommunistischen Rülpsern begnügen – sie wollen, dass endlich zur Tat geschritten und Kaveh »kräftig die Fresse poliert« wird, wie ein Blogger fordert. »Ausweisen kann man den Perser-Nazi ja wohl nicht.« Für Thawra kennt der Israel-Solidarisierer, der außer »antisemitischer Nazischeiße« von Linken vor allem Russen nicht mag und eine »Liste der 5. Kolonne« führt, nur die »Lösung«, die sich seit jeher gegen für vogelfrei erklärte Frauen bewährt hat: »Was ich für die Pali-Nazi-Schlampe, die sich Thawra nennt, vorschlage, ist leider nicht jugendfrei«, vertraut er seinen Lesern an. Einige Facebook-Nutzer, die ihre Seiten liebevoll mit der Nationalfahne, Kampfflugzeugen und anderem todbringenden Kriegsgerät des engsten NATO-Verbündeten schmücken und heute in ihren pathischen Projektionen frenetisch all jene Siege mit der israelischen Armee in Gaza feiern, die ihren Großvätern damals im Donezbecken und bei El-Alamein schmerzlich versagt geblieben waren, packen die Gelegenheit beim Schopf. Sie sagen gegen Linke, Muslime, Palästinenser und andere Araber, was in Deutschland endlich mal gesagt werden muss: Das sind alles »Barbaren«, die »mehr Hirnzellen zum Masturbieren brauchen, wenn es wieder einen Anschlag auf Juden gab, als zum Tippen antisemitischer Posts«. Außerdem wurde »das Pali-Tuch von den Nazis erfunden«, wird jedenfalls auf Youtube verbreitet. »Stundenlang könnte ich mir anschauen, wie so ein Teil durch Gaza pflügt«, vermerkt ein Besucher unter dem Foto eines israelischen »Merkava«-Panzers, das er auf Kavehs Facebook-Seite gepostet hat.
Der hier und da in faschistoide Vernichtungsphantasien gipfelnde Hass macht deutlich: Kaveh und Thawra haben mit Textzeilen, in denen sie dem »antideutschen« »Michel« »Komplexe wegen Opa in Stalingrad« sowie eine Liebe zum Tod diagnostizieren und seine mit neokonservativen Islamhassern wie Henryk M. Broder gebildeten »Querfronten« angreifen, deutsche Täterenkel-Befindlichkeiten getroffen.
Bruno Kramm, Chef des Labels Digitale Dissidenz, auf dem Kavehs neues Album »Gegen den Strom« mit dem »Antideutsche«-Track erscheint, kann keinen Unterschied zwischen den wild gewordenen Israel-Solidarisierern und Pegida erkennen. »Beide wollen Menschen durch permanentes Dauerfeuer kleinmachen«, konstatiert der Initiator diverser Musikerprojekte gegen rechts, der dem täglichen Internetterror ebenso ausgesetzt ist wie Thawra und Kaveh.
Wer glaubt, dass die sich als links bezeichnende Musikerszene für die rassistischen Auswüchse in den sozialen Medien ein kritisches Wort findet, der irrt. Während die große Mehrheit offenbar um die Karriere bangt und sich blind, taub und stumm stellt, heizen andere die Stimmung noch weiter an. Filou, Sänger der Ska-Band Berlin Boom Orchestra, will bei Kaveh die »Logik« eines »Auschwitz-Kommandanten« entdeckt haben. Er bringt bei dieser Gelegenheit auch seine starke Abneigung gegen jüdische Linke, wie Noam Chomsky, Ilan Pappe und Judith Butler, zum Ausdruck. »Antisemitische Juden« seien das, ist von Filou zu erfahren, »schon in NS-Deutschland hatte jeder seinen ›guten Juden‹«. Sookee von der TickTickBoom-Posse stimmte als eine der ersten in den antilinken Chor gegen Kaveh und Thawra ein. Nun hat auch ihr Label Springstoff unter dem Beifall der Rapperin Jennifer Gegenläufer eine Distanzierungserklärung verbreitet. Fanappelle an Sookee (die gewöhnlich mit Sexismus-Vorwürfen um sich wirft wie euphorisierte Karnevalisten mit Kamelle), Thawra doch wenigstens gegen die frauenfeindlichen Verbalinjurien zu verteidigen, werden von der Feministin mit beredtem Schweigen quittiert. Im »antideutschen« Web 2.0 herrscht längst Feindstrafrecht – gegen Antiimperialistinnen, allemal gegen Palästina-solidarische Migrantinnen, ist mittlerweile alles erlaubt.
Lediglich die Rapperin Ruken Serhildan zeigt Rückgrat und hat ihren Auftritt bei einer Veranstaltung des »Oldenburger Solidaritätskomitees Kurdistan« abgesagt, nachdem Thawras Bühnenpräsenz dort für unerwünscht erklärt worden ist. »In Palästina ist die Lage genauso schlimm wie in Kurdistan«, sagte Serhildan gegenüber jW. »Wieso demonstrieren Kurden und Palästinenser nicht zusammen?« Auch das Hip-Hop-Duo Albino & Holger Burner setzt ein Zeichen der Solidarität. Sie haben Thawra zu Gastauftritten bei ihrer »Planet der Klassen«-Tournee in Hamburg und Berlin eingeladen.