Quelle: http://www.tagesanzeiger.ch/news/standard/schweizer-flugzeuge-gegen-demonstranten/story/23301424
Bei einer Kundgebung in Mexiko kam es zum Einsatz von Pilatus-Maschinen, die vermutlich mit Maschinengewehren ausgerüstet worden sind.
Auf stolze 75 Jahre Bestehen kann der Kleinflugzeughersteller Pilatus zurückblicken. Die Stanser Firma hat es in der aktuellen Statistik des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) erstmals in die Top 100 der Waffenproduzenten und Rüstungskonzerne geschafft. Die Erfolgsgeschichte der Nidwaldner Hochtechnologie basiert neben der militärischen zunehmend auch auf der zivilen Nutzung der Flugzeuge, wie Pilatus in einer Hochglanz-Chronik herausstreicht. Auf den elf Seiten mit Historischem und Aktuellem geht allerdings die dunkle Seite der Firmengeschichte vergessen: Nirgends wird erwähnt, dass die Innerschweizer Luftechnik auch immer wieder gegen Demonstranten, Aufständische und Zivilisten eingesetzt worden ist. Und dass es bei den Angriffen viele Opfer gab.
Pilatus beklagt sich in seiner Chronik einzig über «rigorose Exportvorschriften», die 1995 «ein bedeutendes Liefergeschäft von Trainingsflugzeugen für die mexikanische Luftwaffe» verhindert hätten. Verschwiegen wird der Grund: Im Jahr zuvor waren mit PC-7 vom Vierwaldstätter See aufständische Indigene in Chiapas bombardiert worden. Gemäss damaligen Berichten gab es bei den Luftangriffen in Südmexiko Hunderte Tote.
12,7-Millimeter-Geschosse
Nun wiederholt sich die Geschichte – wenn auch mit weniger dramatischem Ausgang. Im Bundesstaat neben Chiapas, in Oaxaca, kam es Anfang Juni dieses Jahres einmal mehr zu einer Demonstration. Die Lehrergewerkschaft hatte zum Boykott eines Wahlgangs aufgerufen. Die Bundespolizei marschierte auf. Mittlerweile haben sich die schwer bewaffneten Einsatzkräfte, die unter militärischem Kommando stehen, sogar in Oaxaca festgesetzt.
In Lokalmedien erschienen Bilder von Flugzeugen, welche die Demonstranten überflogen. Bislang unbemerkt blieb, dass es sich um Maschinen aus der Schweiz handelt. Dies bestätigen nun Experten, denen der TA die Fotos vorlegte. Gemäss ihnen waren die Pilatus-Flugzeuge bewaffnet. Der österreichische Aviatik-Fachmann Georg Mader schliesst dies aus einer Aufhängung an einem rechten Flügel, die auf einer Aufnahme zu sehen ist. «Auf dem Bild ist eine PC-7 mit Gun- und/oder Raketenpods zu erkennen», schreibt Mader, der unter anderem für die renommierte Fachpublikation «Janes Defence Weekly» tätig ist. «Vermutlich sind es 12,7 mm Gun-Pods.»
Mexiko ist grösster Abnehmer
Pilatus hält fest, man habe «keine Kenntnis über den erwogenen Sachverhalt». Deshalb könne man sich nicht dazu äussern. Doch auch das schweizerische Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ist sich aufgrund der Bilder sicher, «dass es sich bei dem auf den in den Pressemeldungen aufgeführten Flugzeugtyp um einen PC-7 handelt». Vermutlich, so führt Seco-Ressortleiter Jürgen Boehler aus, sei diese Maschine «in den 80er-Jahren, spätestens Anfang 90er-Jahre nach Mexiko ausgeführt worden». Damals waren 88 PC-7 aus der Schweiz in den Staat zwischen Karibik und Pazifik exportiert worden. Mexiko ist bis heute der grösste Abnehmer des Typs geblieben.
Tödliche Geschichte der PC-7
Insgesamt stellte Pilatus rund 500 PC-7 her. Die Zweiplätzer gelten als Trainings- oder Schulungsmaschinen, können aber leicht aufgerüstet werden. Staaten, in denen es um die Menschenrechte schlecht steht oder stand, beschafften sich die Maschinen. So landeten PC-7 im Iran, im Irak, im Tschad, in Burma oder eben in Mexiko. 2008 bombardiert die Armee Tschads in Darfur Rebellenlager mit Flugzeugen des Typs PC-9. Bereits 1992 waren mit aufgerüsteten PC-7 und PC-9 von Pilatus in Burma Aufständische umgebracht worden. Auch im Irak und in Guatemala kam es zu ähnlichen Einsätzen von Maschinen aus Stans.
Der Bundesrat schritt ein
Nach den Bombardierungen in Chiapas von 1994 hatte sich Mexiko am Kauf von 48 PC-9 von Pilatus interessiert gezeigt. Der Bundesrat verbot aber Anfang 1995 eine Lieferung der Maschinen mit so genannten Hard Points an den Flügeln, an denen Waffen aufgehängt werden können. Mexiko wollte partout nur die Version mit Aufrüstungsmöglichkeit. Der 300-Millionen-Franken-Auftrag fiel so ins Wasser.
Nicht zuletzt deshalb setzt der mexikanische Staat bis heute die PC-7 ein, die in und um die 80er-Jahre aus der Schweiz geliefert worden waren. Ein Teil der Maschinen ist mit Maschinengewehren versehen worden. Gemäss dem Seco besteht für diese Flugzeuge «keine rechtlichen Verpflichtungen gegenüber der Schweiz». Sprich: Mexiko darf aus schweizerischer Warte die PC-7 so einsetzen, wie es ihm beliebt, auch bewaffnet, auch gegen Demonstrationen.
Bereits im Jahr 2007 war das anders, als das Seco gemäss eigenen Angaben letztmals eine Ausfuhr von Pilatus-Flugzeugen nach Mexiko bewilligte. Damals gelangten vier PC-9 aus Stans nach Übersee. Es gab Auflagen vom schweizerischen Staat: Die Maschinen dürfen einzig für Pilotentraining eingesetzt werden – und für keine andersweitigen Einsätze.
«Güter», kein «Kriegsmaterial»
Bis heute gelten die Pilatus-Flugzeuge der Typen PC-7, PC-9 und P-21 in der Schweiz allerdings nicht als Kriegsmaterial. Sie unterliegen nicht dem Kriegsmaterialgesetz, sondern dem weniger strengen Güterkontrollgesetz. Dies kritisiert die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (Gsoa). «Immer wieder werden Pilatus-Flugzeuge gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt», sagt Gsoa-Sekretär Lewin Lempert. «Die Kriegsmaterialverordung muss endlich verschärft werden: Pilatus-Flugzeuge sind keine Zivilflugzeuge, sondern Kriegsmaterial, und so sollen sie auch eingestuft werden.» (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)